Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 2
Die Frist zur Begründung ist keine Notfrist (anders als die Berufungsfrist) und kann von dem Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO. Der Antrag ist schriftlich zu stellen; entspricht der Vorsitzende einem mündlich gestellten Antrag gemäß § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO, ist die Verlängerung aus Vertrauensschutzgründen aber gleichwohl wirksam.
Der Antrag auf Fristverlängerung muss vor Fristablauf beim Gericht eingehen, wohingegen die Entscheidung des Vorsitzenden auch noch nach Fristablauf ergehen kann.
Rz. 3
Nach der Rspr. des BGH ist das Ermessen des Vorsitzenden, die beantragte Fristverlängerung zu gewähren oder zu versagen, stark eingeschränkt. Der Anwalt darf darauf grundsätzlich vertrauen, dass ihm Fristverlängerung gewährt wird, wenn er seinen Antrag mit Krankheit, Urlaub, Vergleichsverhandlungen oder situationsbedingter Arbeitsüberlastung begründet, oder auch damit, es sei noch eine Rücksprache mit seinem Mandanten erforderlich, was ihm erst nach Einsicht in die Gerichtsakte bewusst geworden sei.
BGH NJW 1997, 400:
Zitat
Der Rechtsmittelführer muß zunächst mit dem Risiko rechnen, daß der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Der Rechtsanwalt kann jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BGH […] regelmäßig erwarten, daß einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn einer der Gründe des § 519 II 3 ZPO vorgetragen wird. Mit einer hiervon abweichenden Verfahrenspraxis braucht der rechtsuchende Bürger nicht zu rechnen; sie widerspricht rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung.
Hat der Anwalt die Gerichtsakte noch gar nicht einsehen können – gemäß § 299 ZPO hat die von ihm vertretene Partei einen Anspruch darauf –, obwohl er sich rechtzeitig darum bemüht hat, ist ihm in jedem Fall Fristverlängerung zu gewähren. Ihm kann in diesem Fall auch ein Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zustehen, vgl. BGH NJW 2018, 952:
Zitat
Dem Berufungsführer ist Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren, wenn sein Prozessbevollmächtigter rechtzeitig vor Ablauf der nicht mehr verlängerbaren Frist einen Antrag auf Bewilligung von Akteneinsicht gestellt hat und ihm diese ohne sein Verschulden nicht vor Fristablauf gewährt wurde.
BGH NJW 1994, 2957:
Zitat
Der Hinweis, eine weitere Besprechung mit der Partei sei notwendig, um die Durchführung des Rechtsmittels zu klären, kann jedenfalls dann einen erheblichen Grund im Sinne dieser Vorschrift [§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO] darstellen, wenn der Anwalt zugleich darlegt, er könne diesen Termin wegen eines Fortbildungslehrgangs nicht innerhalb der Begründungsfrist wahrnehmen.
Rz. 4
Aber es bleibt dabei, dass die Fristverlängerung im Ermessen des Vorsitzenden liegt.
BGH NJW 1999, 430:
Zitat
[Der Rechtsmittelführer] ist vielmehr mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende in Ausübung seines ihm gemäß § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO eingeräumten Ermessens eine beantragte Verlängerung auch dann versagt, wenn die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, BGH NJW 1993, 134. Etwas anderes gilt indessen, wenn der Rechtsmittelführer mit großer Wahrscheinlichkeit die Bewilligung der Fristverlängerung erwarten konnte. Das ist regelmäßig bei einem ersten Verlängerungsantrag der Fall, wenn ein ihn rechtfertigender erheblicher Grund im Sinne des § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO geltend gemacht wurde […]
Ist dem Anwalt aber bekannt, dass – z.B. – ein LAG abweichend von der Rspr. des BAG strengere Anforderungen an die Begründung eines Fristverlängerungsantrages stellt, sieht das BVerfG keine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass die urlaubsbedingte Abwesenheit des sachbearbeitenden Anwalts nicht als hinreichende Begründung angesehen wird.
Der Anwalt muss sicherstellen, dass nachgehalten wird, dass die Frist tatsächlich verlängert worden ist.
BGH BeckRS 2010, 631:
Zitat
Wird die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, darf sie nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Es handelt sich nämlich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist deshalb erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist. In jedem Fall ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden ist, das wirkliche Ende der Frist – gegebenenfalls durch Rückfrage bei Gericht – festgestellt wird […]. Das gilt auch, wenn die Fristverlängerung bereits einige Tage vor Fristablauf beantragt wird.
Das bedeutet aber nicht, dass der Anwalt bei der ersten Fristverlängerung gezwungen ist, beim Gericht nachzufragen, ob die Frist verlängert wo...