Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 12
Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 und 4 ZPO müssen in der Berufungsbegründung die Berufungsgründe (§ 513 Abs. 1 ZPO) genannt werden; sie sind Maßstab für die objektive Unrichtigkeit des Urteils. Die ZPO-Reform hat die die Berufung nur in den Fällen zugelassen, in denen ein Rechtsfehler des Erstgerichts vorliegt (§ 546 ZPO), konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung geboten erscheint oder Gründe vorliegen, welche die Erhebung neuer Angriffs- und Verteidigungsgründe rechtfertigen, soweit diese zugelassen sind.
1. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO
Rz. 13
Sofern das erstinstanzliche Urteil auf einem Rechtsfehler beruht, kann dieses im Wege der Berufung angegriffen werden. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO fordert für die Zulässigkeit der Berufung eine Bezeichnung der Umstände in der Berufungsbegründung, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt.
Rz. 14
Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist, §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO. Weiter muss die Rechtsverletzung auch entscheidungskausal für das Entscheidungsergebnis sein, was sich aus dem Umkehrschluss des § 561 ZPO ergibt. Insbesondere muss der Berufungskläger zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsverletzung in Form eines geltend gemachten Verfahrensfehlers aufzeigen, dass das Eingangsgericht ohne den Verfahrensverstoß möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
2. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO
Rz. 15
BGH NJW-RR 2014, 760, 761:
Zitat
Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO hat der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahingehend enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. […]
Rz. 16
Um entsprechende Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil zu hegen, reicht eine abstrakte Erwägung oder die bloße Vermutung der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen nicht aus. Gefordert wird eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Konkrete Anhaltspunkte können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen können sich aber auch aus der Möglichkeit einer unterschiedlichen Wertung des Tatsachenstoffs ergeben.
BGH NJW 2023, 3496:
Zitat
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 I Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben.
Und weiter BGH NJW-RR 2019, 1343:
Zitat
Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Zweifel im Sinne von § 529 I Nr. 1 ZPO liegen schon dann vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich um eine zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls besteht
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Gerichts des ersten Rechtszugs begründen und deshalb eine erneute Feststellung geboten sei, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, ist der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen. Dies gilt auch dann, wenn die (ergänzende) Beweisaufnahme in zweiter Instanz angeordnet worden, aber ergebnislos geblieben ist.
Rz. 17
Weiter können auch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel erstinstanzliche Feststellun...