1. Grundlagen
Rz. 39
§ 44 Abs. 1 WEG bestimmt: "Unterbleibt eine notwendige Beschlussfassung, kann das Gericht auf Klage eines Wohnungseigentümers den Beschluss fassen (Beschlussersetzungsklage)". "Notwendig" ist eine Beschlussfassung, wenn darauf gem. § 18 Abs. 2 WEG ein Anspruch besteht (→ § 6 Rdn 3). Die Möglichkeit der gerichtlichen Beschlussersetzung war auf Basis des § 21 Abs. 8 WEG a.F. auch im alten Recht anerkannt; die einschlägige Rspr. bleibt also von Bedeutung. Die gerichtliche Ersetzung einer Vereinbarung kann nicht (mehr) durchgesetzt werden (→ § 2 Rdn 107 Beispiel c). Gem. § 44 Abs. 2 WEG ist die Klage gegen die Gemeinschaft zu richten.
Rz. 40
Der gerichtlich in Geltung gesetzte Beschluss hat die gleichen Voraussetzungen und Wirkungen wie ein entsprechender Beschluss der Gemeinschaft. Soweit den Wohnungseigentümern bei der Beschlussfassung ein Ermessen zusteht, wird das Ermessen durch das Gericht ausgeübt. Dementsprechend muss der Kläger seinen Klageantrag formulieren. Wenn er Anspruch auf einen bestimmten Beschluss hat (z.B. die Gestattung oder Genehmigung einer bestimmten baulichen Veränderung), verlangt er den gerichtlichen Erlass dieses Beschlusses. In allen anderen Fällen kann und muss der Kläger die begehrte Regelung nicht als konkreten Antrag formulieren, sondern muss sie dem gerichtlichen Ermessen überlassen; er muss nur sein Rechtsschutzziel deutlich machen. Am einfachsten ist es, wenn er die gleichen Anträge stellt wie die, die in der Wohnungseigentümerversammlung abgelehnt wurden; dies verbunden mit dem Hinweis, dass das Gericht den Antrag nach seinem Ermessen übernehmen oder ändern kann. Der Ermessensentscheidung entspricht die Kostenentscheidung: Auch diese erfolgt nach billigem Ermessen analog § 92 Abs. 2 ZPO, wobei es i.d.R. billigem Ermessen entsprechen wird, bei einem Erfolg der Klage der beklagten Gemeinschaft die Kosten aufzuerlegen.
Rz. 41
Die Beschlussersetzungsklage hat eine ungeschriebene besondere Zulässigkeitsvoraussetzung: Der Kläger muss zuvor im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren versucht haben, die Beschlussfassung der Gemeinschaft zu erreichen. Die Notwendigkeit der Vorbefassung der Gemeinschaft folgt aus dem Grundsatz des Selbstorganisationsrechts (Verwaltungsautonomie) der Gemeinschaft. Vom Versuch der Beschlussfassung kann nur dann abgesehen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit finden wird, so dass die Befassung der Eigentümerversammlung eine unnötige Förmelei wäre. Wer also eine bestimmte Maßnahme durchsetzen will, muss grundsätzlich die nächste Eigentümerversammlung abwarten oder die Einberufung einer außerordentlichen Versammlung beantragen (und nötigenfalls durchsetzen); und er muss darauf achten, dass sein Anliegen in der Tagesordnung zur Beschlussfassung angekündigt ist. Erst wenn die Miteigentümer die Beschlussfassung verweigern oder den Antrag ablehnen, ist eine Beschlussersetzungsklage zulässig. In den Fällen, in denen der Gemeinschaft ein Ermessen zusteht, in denen es also nicht nur eine einzige "richtige" Beschlussfassung gibt, sollte der Antragsteller (spätere Kläger) aber mehrere Varianten seines Begehrens zur Beschlussfassung stellen; wenn er sich auf einen einzigen Antrag (von mehreren denkbaren) beschränkt, riskiert er die Abweisung seiner Klage als unzulässig mit der Begründung, er habe sich nicht ausreichend um eine Beschlussfassung der Miteigentümer bemüht (→ § 6 Rdn 49). Die Anforderungen an die Vorbefassung dürfen aber nicht überspannt werden. Wenn der Kläger durch Stellung eines konkreten Beschlussantrags sein Regelungsziel deutlich macht, darf sich die Gemeinschaft nicht auf eine Ablehnung beschränken und nachher behaupten, dass ein Beschluss gefasst worden wäre, wenn nur der Antrag anders formuliert gewesen oder einen etwas anderen Inhalt gehabt hätte.
Rz. 42
Weil der Regelungsklage grundsätzlich der erfolglose Versuch einer (positiven) Beschlussfassung voran gehen muss, liegt – falls die Beschlussfassung nicht komplett verweigert wurde – zwangsläufig ein ablehnender (Negativ-)Beschluss vor. Weil dieser keine materielle Bindungswirkung entfaltet (→ § 13 Rdn 69), ist seine Anfechtung keine Voraussetzung der Beschlussersetzungsklage und deshalb "eigentlich" überflüssig. Sie ist sicherheitshalber aber trotzdem zu empfehlen, alleine um Diskussionen darüber zu vermeiden.
Rz. 43
Zur gerichtlichen Entscheidung: Bei der Beschlussersetzungsklage entscheidet das Gericht anstelle der Wohnungseigentümer nach eigenem Ermessen, was der Gemeinschaft nützt. Es "erlässt" den fehlenden Beschluss bzw. ersetzt ihn durch sein Urteil, bei dem es sich rechtstechnisch betrachtet um ein Gestaltungsurteil handelt. Nach h.M. sollen Maßnahmen nur insoweit angeordnet werden dürfen, "als dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes unbedingt notwendig ist, da die Beschlussersetzung in die Privatautonomie der Wohnungseigentümer eingreife. Es sei dah...