Rz. 180
Das Berufungsurteil hielt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts konnte ein Erstattungsanspruch der Klägerin nach §§ 7, 18 StVG, § 823 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG a.F., §§ 116, 119 SGB X nicht verneint werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach Ersatzansprüche der Klägerin wegen auf sie übergegangener Ansprüche der Geschädigten auf Ersatz des Verdienstausfallschadens aufgrund des unfallbedingten Verlustes ihres Arbeitsplatzes für die Jahre 2006 bis 2018 nicht bestünden, weil die Geschädigte und die Klägerin in diesen Jahren gegen ihre Schadensminderungspflichten verstoßen hätten, war rechtsfehlerhaft.
Rz. 181
Soweit das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin wegen eines Verstoßes der Geschädigten gegen ihre Schadensminderungspflicht in Form unzureichender Anstrengungen zur Aufnahme einer erneuten Erwerbstätigkeit verneint hatte, war allerdings im Ausgangspunkt zutreffend, dass eine Kürzung des aus übergegangenem Recht des Geschädigten hergeleiteten Erstattungsanspruchs des Sozialversicherungsträgers bei einem Verstoß des Geschädigten gegen seine Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB) in Betracht kommt, weil sich der Sozialversicherungsträger ein solches Mitverschulden seines Versicherten anrechnen lassen muss. Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 S. 1 letzter Hs. BGB setzt voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von Treu und Glauben. Im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats als Ausfluss der Schadensminderungspflicht dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten. Auch ist der Verletzte aus seiner Schadensminderungspflicht gegenüber dem Schädiger grundsätzlich gehalten, im Rahmen der Zumutbarkeit an Umschulungsmaßnahmen teilzunehmen.
Rz. 182
Ferner war es im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Kürzung der Erstattungsansprüche der Klägerin auch wegen unzureichender eigener Bemühungen, der Geschädigten die Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit zu ermöglichen, in Betracht gezogen hatte. Nach der Senatsrechtsprechung kann der Sozialversicherungsträger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) den auf ihn übergegangenen Ersatzanspruch billigerweise insoweit nicht geltend machen, als er darauf beruht, dass er selbst eine in seine Zuständigkeit fallende, mögliche Maßnahme der Schadensminderung verabsäumt hat.
Rz. 183
Richtig war schließlich auch die Annahme des Berufungsgerichts, den Geschädigten treffe im Hinblick auf den grundsätzlich vom Schädiger darzulegenden und zu beweisenden Einwand aus § 254 Abs. 2 BGB eine sekundäre Darlegungslast, wenn er einen Verdienstausfall als Schaden geltend macht und die Frage der verbleibenden Möglichkeit des Einsatzes seiner Arbeitskraft in Rede steht. Nach der Senatsrechtsprechung hat der Verletzte, wenn er wieder arbeitsfähig oder teilarbeitsfähig ist, den Schädiger in der Regel über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten und seine Bemühungen um einen angemessenen Arbeitsplatz zu unterrichten. Macht der Sozialversicherungsträger aus übergegangenem Recht Ansprüche des Geschädigten geltend, trifft ihn eine entsprechende Darlegungslast, auch hinsichtlich der eigenen Bemühungen um die berufliche Rehabilitation seines Versicherten.
Rz. 184
Das Berufungsgericht hatte jedoch die Reichweite der im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB bestehenden Obliegenheiten des Geschädigten um Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht richtig erfasst und in der Folge auch die Anforderungen an die insoweit bestehende sekundäre Darlegungslast der Klägerin überspannt.
Rz. 185
Von einem Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden, da nach einem solchen Urteil einer fachkundigen Stelle aus Sicht des Geschädigten weitere Bemühungen um eine Tätigkeit regelmäßig aussichtlos erscheinen werden. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht ist dann schon im Ansatz nicht gegeben. Unter diesen Umständen besteht grundsätzlich auch keine weitere Darlegungslast dazu, was der Geschädigte unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz...