Rz. 111
Gekennzeichnet wird jedes Franchise-System durch den Know-how-Transfer, d.h. die Informationen und Unterlagen, die dem Franchise-Nehmer für das Betreiben des Franchise-Outlets zur Verfügung zu stellen sind. Bis zum 31.12.1999 wurde – auch bei der Vertragsgestaltung – auf die entsprechende Definition der Franchise-GVO zurückgegriffen. Nunmehr sind die entsprechenden Regelungen der derzeitigen Vertikal-GVO (EU-VO 720/2022) zu beachten. Danach wird das Know-how eines Franchise-Systems wie folgt umschrieben:
"Know-how" ist eine Gesamtheit nicht patentierter praktischer Kenntnisse, die der Lieferant durch Erfahrungen und Erprobung gewonnen hat und die geheim, wesentlich und identifiziert sind. Hierbei bedeutet:
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"Geheim", dass das Know-how als Gesamtheit oder in der genauen Zusammensetzung seiner Bestandteile nicht allgemein bekannt und nicht leicht zugänglich ist, |
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"Wesentlich", dass das Know-how Kenntnisse umfasst, die für den Käufer zum Zwecke der Verwendung, des Verkaufs oder des Weiterverkaufs der Vertragswaren oder Dienstleistungen unerlässlich sind, |
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"Identifiziert", dass das Know-how umfassend genug beschrieben ist, sodass überprüft werden kann, ob es die Merkmale "geheim" oder "wesentlich" erfüllt. |
Rz. 112
Damit unterstreicht die Vertikal-GVO genau wie die Franchise-GVO die Bedeutung und Wichtigkeit des Know-how beim Franchise-System, wobei sich die Prüfung von einer Nützlichkeitsprüfung bei der Franchise-GVO hin zu einer Unerlässlichkeitsprüfung bei der Vertikal-GVO verlagert hat. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass sich die bis zum 31.5.2022 geltende EU-VO 330/2010 und die seit dem 1.6.2022 geltende EU-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen 720/2022 von dem Begriff der Unerlässlichkeit des Know-hows gelöst haben und nunmehr verlangt wird, dass das einem Franchise-Nehmer zu überlassende Know-how "nützlich" und "bedeutsam" ist.
Rz. 113
Ist dieser Know-how-Transfer streitig, hat der Franchise-Geber nach dem Urt. d. OLG Oldenburg vom 16.10.1997 nicht nur die Werthaltigkeit des Know-how eines Franchise-Systems darzulegen und zu beweisen, sondern auch inwieweit der Franchise-Nehmer daraus Nutzen ziehen konnte.
Hinweis
Jeder Franchise-Geber muss daher nicht nur beweisen, sondern auch im Franchise-Handbuch festlegen, dass substanzielles (unerlässliches) Know-how vorhanden ist. Zugleich muss dieses Know-how auf den Franchise-Nehmer übertragen werden. Wo hier die Grenzen zu ziehen sind, wird neben den Erfahrungen mit der Vertikal-GVO die Rspr. aufzuzeigen haben.
Dabei kommt zukünftig auch dem Know-how-Begriff des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Bedeutung zu. Danach muss, wie die Entscheidung des OLG Hamm vom 15.9.2020 zeigt, nicht nur ständig an die Marktentwicklung angepasst werden, sondern es müssen auch angemessene Maßnahmen zur Geheimhaltung vom Franchise-Geber ergriffen werden. Andernfalls kann bei Verstößen kein Unterlassungsanspruch nach § 6 GeschGehG geltend gemacht werden.
Rz. 114
Mangelt es an einer Ausgewogenheit der Leistung des Franchise-Gebers (Know-how) und der Gegenleistung des Franchise-Nehmers (Gebühren), kann der abgeschlossene Franchise-Vertrag gem. § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig sein. Der Franchise-Geber ist dann nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) verpflichtet, dem Franchise-Nehmer i.R.d. Rückabwicklung u.a. die von diesem geleistete Eintrittsgebühr zu erstatten. Dabei ist die Saldotheorie zu beachten.