1. Interesse des Erblassers an der Klärung seiner Testierfähigkeit
Rz. 9
Seit Jahrzehnten gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass ein Erblasser Klarheit über die Frage seiner Testierfähigkeit schaffen will, falls nach seinem Tode Zweifel auftreten. Deshalb muss auch bereits zu Lebzeiten des Erblassers, an dessen Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung Zweifel bestehen, der aber aufgrund seiner eingetretenen Geschäfts- und Testierunfähigkeit selbst hieran nichts mehr ändern kann, die Möglichkeit bestehen, in dessen Interesse Klarheit zu schaffen, ob ein von ihm errichtetes Testament und der hierin festgelegten Gesamtrechtsnachfolge seinem wirksamen Testierwillen, getragen von einer Testierfähigkeit, entspricht.
2. Aufhebung eines Ehegatten-Erbvertrags durch gemeinschaftliches Testament
Rz. 10
Sowohl im Erbenfeststellungsprozess als auch selbst im Erbscheinsverfahren kann über die Testierfähigkeit noch lebender Beteiligter Beweis erhoben werden, wenn deren letztwillige Verfügungen von Einfluss auf die Erbfolge sein könnten.
Haben sich Ehegatten (oder Verlobte) – auch gleichgeschlechtliche – in einem Erbvertrag bindend gegenseitig zu Erben eingesetzt, so setzt die Aufhebung oder Einschränkung dieser Erbeinsetzungen durch ein späteres gemeinschaftliches Testament, in dem beide Ehegatten als Erblasser verfügen, voraus, dass beide Ehegatten bei Errichtung dieses Testaments testierfähig sind. Andernfalls läge keine wirksame Aufhebung des Erbvertrags vor. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, die Testierfähigkeit des überlebenden Ehegatten zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments im Rahmen der Klärung der Erbfolge nach dem erstverstorbenen Ehegatten zu klären.
Rz. 11
Die Ehegatten können nach § 2292 BGB erbvertraglich getroffene Verfügungen durch ein gemeinschaftliches Testament aufheben. Diese Vorschrift ist nach einhelliger Auffassung entgegen ihrem Wortlaut auch anwendbar, wenn die Ehegatten im Zeitpunkt der Errichtung des entsprechenden Erbvertrages noch nicht miteinander verheiratet waren. Die Aufhebung kann u.a. dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass neue, dem Erbvertrag inhaltlich widersprechende Verfügungen getroffen werden, wenn nur der Wille der Ehegatten, die vertragsmäßigen Verfügungen durch die testamentarischen zu ersetzen, mit ausreichender Deutlichkeit erkennbar wird. Die Aufhebung oder Einschränkung der erbvertraglichen Erbeinsetzung durch ein gemeinschaftliches Testament setzt jedenfalls die Testierfähigkeit beider Ehegatten voraus, weil die Aufhebung der erbvertraglichen Bindung nur darin liegen kann, dass abweichend vom Erbvertrag verfügt wurde. Grundsätzlich müssen bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments beide Ehegatten testierfähig sein.
Rz. 12
Inzident mit der Klärung der Erbfolge auf den Tod des erstverstorbenen Ehegatten wird damit auch die Erbfolge auf den Tod des überlebenden Ehegatten geklärt, weil schon zu dessen Lebzeiten seine Testierfähigkeit überprüft wird. Vgl. nachfolgend Rdn 13 ff.
3. Nervenfachärztliche Untersuchung des überlebenden Ehegatten auf Testier(un-)fähigkeit
Rz. 13
Hat ein Sachverständiger die Testierfähigkeit einer noch lebenden Person zu beurteilen, so setzt dies in der Regel voraus, dass er diese Person selbst untersucht. Nur ausnahmsweise kann hiervon abgesehen werden, wenn es auf die Testierfähigkeit zu einem weiter zurückliegenden Zeitpunkt ankommt, der medizinische Befund durch wesentlich zeitnähere nervenärztliche Untersuchungen mit hinreichender Sicherheit geklärt ist und von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen weitere Aufschlüsse über den Zustand der zu begutachtenden Person im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, insbesondere zum Verlauf der für die Testierfähigkeit maßgebenden Erkrankung, nicht zu erwarten sind.
4. Feststellungsklage des Betreuers bzgl. Testier(un-)fähigkeit des Betreuten
a) Feststellungsinteresse
Rz. 14
Nach der Rechtsprechung besteht ein Feststellungsinteresse für die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Testaments des Betreuten, wenn für diesen aufgrund der bestehenden Testierunfähigkeit keine andere rechtliche Möglichkeit besteht, das unwirksame Testament zu widerrufen. Der Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge handelt nicht pflichtwidrig, wenn er als gesetzlicher Vertreter des Betreuten Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des vom Betreuten errichteten Testaments erhebt, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Betreute bei Testamentserrichtung testierunfähig war.
Begründet wird dies mit der Rechtsprechung des BGH, der es für zulässig erachtet, dass ein Pflichtteilsberechtigter bereits zu Lebzeiten des Erblassers Feststellungsklage erheben darf, um die in einer letztwilligen Verfügung zu seinen Lasten angeordnete Entziehung des P...