A. Allgemeines
Rz. 1
Nach § 254 BGB hat der Geschädigte ein Mitverschulden bei der Entstehung oder Entwicklung seines Schadens zu verantworten, das ihm selbst vorzuwerfen oder – in entsprechender Anwendung des § 278 BGB (vgl. § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB) – wegen eines schuldhaften Schadensbeitrags seines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen (vgl. § 2 Rdn 408 ff.) zuzurechnen ist; diese Verantwortlichkeit kann den Schadensersatzanspruch des Geschädigten – etwa aus einem Vertrag – verringern oder sogar beseitigen (vgl. Rdn 10).
Rz. 2
Die Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Dieses Verschulden kann sich zwar auch auf die vorwerfbare Verletzung einer ggü. einem anderen bestehenden Leistungspflicht beziehen. Regelmäßig ist dies aber nicht der Fall; das nach § 254 BGB zu beanstandende Verhalten des Geschädigten muss mithin auch nicht rechtswidrig sein. Vielmehr ist der Begriff des Verschuldens i.R.d. § 254 BGB in einem untechnischen Sinne zu verstehen, was in der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Umschreibung als "Verschulden gegen sich selbst" zum Ausdruck gebracht wird. Der Sache nach gleich liegt der in diesem Zusammenhang ebenfalls verwendete Begriff "Verschulden in eigener Angelegenheit". Ferner stuft die Rechtsprechung das Mitverschulden als eine Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit ein. Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB ist mithin ein vorwerfbarer (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Verstoß gegen die im eigenen Interesse gebotene Obliegenheit, eine Selbstschädigung zu vermeiden, also ein "Verschulden gegen sich selbst" und "in eigener Angelegenheit". Der Geschädigte hat ein Mitverschulden zu verantworten, wenn er zur Entstehung oder Entwicklung seines Schadens dadurch beiträgt, dass er diejenige Aufmerksamkeit und Sorgfalt außer Acht lässt, die nach der Sachlage jedem verständigen Menschen erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren.
Letztlich ist § 254 BGB eine konkrete gesetzliche Ausprägung des in § 242 BGB enthaltenen allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben. Dem Geschädigten ist es danach verwehrt, seinen Vermögensschaden in dem Umfang von dem Schädiger ersetzt zu verlangen, wie er seinem eigenen früheren Verhalten zuzurechnen ist. Dies ist Ausfluss des Grundsatzes des venire contra factum proprium und als Selbstwiderspruch unbeachtlich. Andererseits kann ein anrechenbares Mitverschulden des Geschädigten entfallen, wenn dessen Schadensbeitrag vom Schädiger veranlasst worden ist und diesem nach der Rechtsbeziehung der Beteiligten – etwa im Rahmen eines Beratungsvertrages mit einem Fachmann – billigerweise allein zuzurechnen ist.
Rz. 3
Das adäquat schadensursächliche, nach dem Schutzzweck des § 254 BGB zurechenbare Mitverschulden (vgl. Rdn 6) des Geschädigten kann die Entstehung des Schadens betreffen (§ 254 Abs. 1 BGB). Es bezieht sich auf die Entwicklung des Schadens, wenn der Geschädigte es – i.R.d. Zumutbarkeit – unterlassen hat, den Schädiger auf die – diesem unbekannte und nicht erkennbare – Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen oder den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Handelt es sich dagegen um Maßnahmen, die dem Geschädigten zur Schadensminderung nicht zugemutet werden können, führt ihr Unterlassen nicht zum Mitverschulden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darf ein eigenes Verhalten des Geschädigten, zu dem er nicht aufgrund seiner Schadensabwendungs- und -minderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) verpflichtet ist, wegen des Grundsatzes, dass überpflichtmäßige Anstrengungen des Geschädigten den Schädiger nicht entlasten sollen, weder in die Schadensberechnungsbilanz eingestellt werden, noch braucht der Geschädigte es sich im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen zu lassen. Der danach gebotene Abgrenzungsmaßstab ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Mit Ausnahme der Fälle, in denen der Schädiger für schuldloses Handeln haftet, kann nur eine schuldhafte Mitverursachung des Schadens den Ersatzanspruch des Geschädigten beeinträchtigen.