Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 426
Der Gerichtsvollzieher hat im Anschluss an die Pfändung und vor der Verwertung die gepfändeten Gegenstände auf ihren gewöhnlichen Wert nach § 813 Abs. 1 S. 1 ZPO zu schätzen. Dabei darf der Gerichtsvollzieher mit Ausnahme der Schätzung von Kostbarkeiten selbst keinen Sachverständigen beauftragen, sondern muss aus seiner Berufserfahrung schöpfen, wobei auch eine Internetrecherche wertvolle Hinweise geben kann. Er kann die Parteien auch auf eigene Bedenken bei der Wertfestsetzung hinweisen oder um vorherige Stellungnahme bitten. Diese können nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO die Anordnung der Schätzung durch einen Sachverständigen beim Vollstreckungsgericht beantragen.
Rz. 427
Hinweis
Die Möglichkeit, einen Antrag auf Schätzung durch den Sachverständigen nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO zu stellen, schließt eine Erinnerung nach § 766 ZPO gegen die vom Gerichtsvollzieher vorgenommene Schätzung aus. Auch die Schätzung des Sachverständigen kann nur unmittelbar mit dem Antrag angegriffen werden, diesen zu den Einwendungen gegen die Schätzung anzuhören oder auch nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO einen neuen (Ober-)Gutachter zu bestellen.
Rz. 428
Der Gerichtsvollzieher hat nach § 813 Abs. 1 ZPO allerdings bereits von sich aus einen Sachverständigen hinzuzuziehen, wenn es sich bei den gepfändeten Gegenständen um Kostbarkeiten handelt. Kostbarkeiten sind Gegenstände, die im Hinblick auf ihre Größe besonders wertvoll sind. In Betracht kommen insbesondere:
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Gegenstände aus Edelmetall, auch Goldmünzen etc. |
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Kunstgemälde |
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Plastiken |
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Gegenstände mit Edelsteinen und/oder Perlen |
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herausragende Antiquitäten |
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Münzsammlungen |
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Briefmarkensammlungen |
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Ein öffentlich bestellter und vereidigter Auktionator ist als Sachverständiger i.S.d. § 813 Abs. 1 S. 2 ZPO anzusehen |
Rz. 429
Da Gold- und Silbersachen nach § 817a Abs. 3 S. 1 ZPO nicht unter ihrem Gold- oder Silberwert zugeschlagen werden dürfen, muss der Gerichtsvollzieher hier neben dem gewöhnlichen Verkaufswert auch deren Materialwert schätzen lassen.
Rz. 430
Hinweis
Ob ein gepfändeter Gegenstand eine Kostbarkeit darstellt, hat der Gerichtsvollzieher nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Entscheidung kann jedoch nach § 766 ZPO (vgl. § 16) sowohl vom Schuldner als auch vom Gläubiger angegriffen werden. Das Vollstreckungsgericht entscheidet dann, ob eine Kostbarkeit vorliegt und der Gerichtsvollzieher einen Sachverständigen hinzuziehen muss.
Rz. 431
Ein landwirtschaftlicher Sachverständiger muss hinzugezogen werden, wenn bei Personen, die Landwirtschaft betreiben, ungetrennte Früchte, Sachen oder Tiere, die dieser zur Ausübung seiner Erwerbstätigkeit benötigt (§ 811 Abs. 1 Nr. 1b und Nr. 8b ZPO) sowie landwirtschaftliche Erzeugnisse gepfändet werden, deren Wert wahrscheinlich 2.000,00 EUR übersteigt (§ 813 Abs. 3 ZPO). Auswahl und Zuziehung erfolgt durch den Gerichtsvollzieher. Zur Berechnung sind die Werte der Früchte und sonstige Sachen, einschließlich der unpfändbaren, zusammenzuzählen. Ein Verstoß gegen die Sollvorschriften des § 813 ZPO macht Pfändung und Verwertung nicht unwirksam. Amtshaftungsansprüche scheitern i.d.R. an § 839 Abs. 3 BGB, wenn der Geschädigte keinen Antrag nach § 813 Abs. 1 S. 3 ZPO gestellt hat. Hat der Gerichtsvollzieher eine Pfändung in einem landwirtschaftlichen Betrieb vorgenommen, so hat er ebenfalls einen Sachverständigen hinzuziehen, wenn zu erwarten ist, dass der Wert der gepfändeten Gegenstände 2000,00 EUR übersteigt, § 813 Abs. 3 ZPO. Der Sachverständige hat nach §§ 100 Abs. 1, 102 Abs. 3 GVGA in den Fällen der Abs. 3 und 4 zu prüfen, ob,
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die Reifezeit nach § 810 Abs. 1 S. 2 ZPO binnen Monatsfrist zu erwarten ist, |
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die gepfändeten Gegenstände – Früchte, Vieh und Gerät zur Fortführung der Landwirtschaft erforderlich und damit nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbar sind, |
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die Pfandsachen nach § 865 ZPO als Zubehör dem Zugriff des Gerichtsvollziehers entzogen sind, |
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der gewöhnliche Verkaufswert über 2.000,00 EUR liegt und wie dieser im Einzelnen zu bemessen ist. |