Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 116
Ausgehend von dem richtlinienkonform auszulegenden Begriff der Entlassung (= Kündigung), ist jeweils zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Anzeigepflicht ggü. der Agentur der Arbeit gegeben sind. Die Pflicht zur Erstattung einer Anzeige ggü. der Agentur für Arbeit besteht, wenn die geplanten Entlassungen die in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Zahlenwerte (siehe Rdn 104) überschreiten. Maßgebend ist das Verhältnis der in einem Betrieb zu entlassenden Arbeitnehmer im Verhältnis zu den dort i.d.R. beschäftigen Arbeitnehmern (KR/Weigand, § 17 Rn 15; ErfK/Kiel, § 17 KSchG Rn 18).
a) Betrieb
Rz. 117
Das BAG hat seine Auffassung, dass sich der Betriebsbegriff i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG an dem der §§ 1, 4 BetrVG orientiert (zuletzt BAG v. 26.1.2017 – 6 AZR 442/16, NZA 2017, 577), inzwischen aufgegeben (BAG v. 13.3.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006). Es handelt sich insofern um einen eigenständigen europarechtlichen Betriebsbegriff, der streng von dem des KSchG und des BetrVG zu trennen ist. "Betrieb" i.S.d. MERL ist die Einheit, der die von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Aufgaben angehören. Dabei muss es sich um eine unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln, die zur Erledigung einer oder mehrerer Aufgaben bestimmt ist und über eine Gesamtheit von Arbeitnehmern sowie über technische Mittel und eine organisatorische Struktur zur Erfüllung dieser Aufgaben verfügt (BAG v. 13.3.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006). Der Betriebsbegriff des § 17 KSchG ist insofern weiter zu verstehen als der des BetrVG und des KSchG, als die Einheit nicht zwingend wirtschaftlich, finanziell verwaltungsmäßig oder technologisch unabhängig sein muss, um als Betrieb zu gelten (EuGH v. 30.4.2015 – C – 80/14, NZA 2015, 601). Im Gegensatz zu den von Rspr. und Lehre für das BetrVG und das KSchG entwickelten Betriebsbegriff ist der des § 17 KSchG seit der Entscheidung des BAG vom 13.3.2020 hinsichtlich der Organisationsstruktur damit weitestgehend entkernt (Moll, RdA 2021, 49).
Rz. 118
Es besteht nach § 17 KSchG eine Anzeigepflicht auch in Betrieben mit i.d.R. bis zu 20 Arbeitnehmern, wenn mindestens sechs Arbeitnehmer von Entlassungen betroffen sind (BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, ZInsO 2011, 826 = NZA 2011, 466). Das BAG begründet die Anwendung des § 17 KSchG in Kleinbetrieben mit der durch das BetrVG-Reformgesetz 2001 erfolgten Änderung der Bezugsgröße für das Vorliegen von Betriebsänderungen gem. § 111 BetrVG (abzustellen ist seitdem auf die Unternehmens- nicht mehr auf die Betriebsgröße). Zweck der Gesetzesänderung sei es gewesen, die Beteiligungsrechte zu stärken, nicht aber den Schutz für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben herabzusetzen (BAG v. 9.11.2010 – 1 AZR 708/09, ZInsO 20011, 826 = NZA 2011, 466).
b)I. d.R. beschäftigte Arbeitnehmer
Rz. 119
Arbeitnehmer i.S.d. § 17 KSchG sind alle Arbeitnehmer i.S.d. § 1 KSchG (KR/Weigand, § 17 KSchG Rn 29). Unter den Begriff Arbeitnehmer fallen somit Arbeiter, Angestellte sowie Auszubildende. Auch Praktikanten, Umschüler und Fremdgeschäftsführer sind im Sinne von § 17 KSchG als Arbeitnehmer anzusehen und bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksichtigen (EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, NZA 2015, 86). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Regelung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG aufgrund des in der Massenentlassungsrichtlinie RL 98/59/EG (MERL) verwendeten, weit auszulegenden Arbeitnehmerbegriffes im Hinblick auf Fremdgeschäftsführer und Geschäftsführer mit Minderheitsbeteiligung europarechtswidrig. Dementsprechend ist auch der weitere Ausnahmetatbestand des § 17 Abs. 5 Nr. 3 KSchG europarechtskonform auszulegen. Die in § 17 Abs. 5 Nr. 3 KSchG genannten Personen (Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, sind mithin bei der Berechnung der Schwellenwerte ebenfalls zu berücksichtigen (Lunk, NZA 2015, 917; Dimsic, NJW 2016, 901). Ob auch Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG zu berücksichtigen sind, bleibt abzuwarten. Das BAG hat die Frage dem EuGH mit Beschl. v. 16.11.2017 (2 AZR 90/17, ZIP 2018, 241) zur Entscheidung vorgelegt. Arbeitnehmer, die Altersteilzeit im Blockzeitmodell vereinbart haben und sich in der Freistellungsphase befinden, zählen nicht (mehr) als Arbeitnehmer i.S.d. § 17 KSchG.
Rz. 120
Für die Zahl der "in der Regel" beschäftigten Arbeitnehmer ist auf die normale Beschäftigtenzahl des Betriebes, d.h. diejenige Personalstärke abzustellen, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei regelmäßigem Gang des Betriebes kennzeichnend ist (BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766 = ZIP 2005, 1330). Die Ermittlung der Personalstärke erfordert sowohl einen Rückblick als auch eine Prognose. Im Fall der Stilllegung des Betriebs oder eines Betriebsteils kann allerdings im Allgemeinen nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Betracht kommen (BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166 = ZIP 1995, 1762).
c) Beabsichtigte Entlassungen
Rz. 121
Von dem Begriff "Entlassu...