Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 26
Hat der Arbeitgeber bereits vor Stellung des Insolvenzantrages oder danach, aber vor Insolvenzeröffnung, gekündigt oder hat nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit allgemeinem Verfügungsverbot für den Schuldner der vorläufige Insolvenzverwalter mit den verlängerten gesetzlichen Kündigungsfristen (bis zur Dauer von sieben Monaten zum Monatsschluss) oder ähnlich langen tariflichen Kündigungsfristen (z.B. sechs Monate zum Quartalsende) oder einzelvertraglich vereinbarter Jahresfrist oder zu besonderen Kündigungsterminen (z.B. Halbjahres- oder Jahresschluss) gekündigt, dann stellt sich nach Verfahrenseröffnung das Problem, ob der (endgültige) Insolvenzverwalter, um eine Auszehrung der Insolvenzmasse zu verhindern, nach Maßgabe des § 113 S. 2 InsO nochmals "nachkündigen" kann. Nach – soweit ersichtlich – einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist der Insolvenzverwalter zur Nachkündigung berechtigt (BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, NZA 2003, 1086; Berscheid, ZInsO 1998, 9, 13; ders., NZI 1999, 6, 9; ders., S. 199 Rn 598; Bertram, NZI 2001, 625, 627; KPB/Moll, § 113 InsO Rn 97; NR/Hamacher, § 113 Rn 93; Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 116). Kündigt der Verwalter nach Verfahrenseröffnung erneut, liegt keine unzulässige Wiederholungskündigung vor, da aufgrund der Insolvenz ein neuer Sachverhalt gegeben ist (BAG v. 13.5.2004, ZInsO 2005, 390; BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, NZA 2003, 1086; HaKo/Ahrendt, § 113 InsO Rn 36). Für die Nachkündigung gelten die abgekürzten Kündigungsfristen des § 113 S. 2 InsO (BAG v. 13.5.2004, ZInsO 2005, 390; HaKo/Ahrendt, § 113 InsO Rn 36; Berscheid, ZIP 1997, 1569, 1578; ders., ZInsO 1998, 8, 13).
Rz. 27
Der (endgültige) Insolvenzverwalter muss in allen Fällen, in denen er entweder zur Fristverkürzung nachkündigt oder allein deshalb nochmals kündigt, weil er Bedenken gegen die Wirksamkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Kündigung hat, vor Ausspruch der neuen Kündigung sämtliche etwa erforderlichen Zustimmungen (vgl. unten Rdn 28 ff.) erneut einholen und den Betriebsrat nach § 102 BetrVG zur (Nach-) Kündigung anhören (Berscheid, ZInsO 1998, 159, 164; Bertram, NZI 2001, 625, 628; Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 117). Ebenso ist der Insolvenzverwalter im Fall der Nachkündigung uneingeschränkt an die in § 17 KSchG geregelten Pflichten gebunden. Die durch eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG eröffnete Kündigungsmöglichkeit wird mit der Erklärung dieser Kündigung verbraucht. Für jede weitere Kündigung ist unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG eine neue Massenentlassungsanzeige erforderlich (BAG v. 22.4.2010, ZInsO 2010, 1754 = ZIP 2010, 1566).