Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 50
Anwendbar ist § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO bei allen Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG, und zwar auch dann, wenn der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter die vollständige Stilllegung des Betriebes und somit die Entlassung aller Arbeitnehmer plant. Bei einer Stilllegung des gesamten Betriebes zu einem einheitlichen Zeitpunkt entfällt die Notwendigkeit, eine Sozialauswahl zu treffen (LAG Erfurt v. 16.10.2000, ZInsO 2001, 288 = ZIP 2000, 2331). Auch bei Auflösung eines Gemeinschaftsbetriebes entfällt die Notwendigkeit einer auf den früheren Gemeinschaftsbetrieb bezogenen Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG (BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 954/94, NJW 1996, 2677 = NZA 1996, 307). Die Anwendung der beiden Normen läuft – bezogen auf ihren Regelungszweck – auch in einem solchen Fall nicht leer, denn die Aufnahme aller Arbeitnehmer in die Namensliste des Interessenausgleiches entlastet den (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalter von dem ihm ansonsten obliegenden Nachweis der Betriebsbedingtheit (vgl. § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG), insb. dem Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen, im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren und trägt somit zur Beschleunigung der Durchführung der Betriebsänderung bei (Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 178).
Rz. 51
Der Abschluss eines Sozialplans macht den Versuch eines Interessenausgleiches nicht entbehrlich. Während ein Sozialplan vorsorglich auch für Maßnahmen aufgestellt werden kann, die noch nicht geplant, aber in groben Umrissen abschätzbar sind, gelten für den Interessenausgleich strengere Anforderungen. Hier ist Voraussetzung, dass über konkret geplante Maßnahmen mit dem Betriebsrat verhandelt und schon eine Einigung über das "Ob" und "Wie" angestrebt werden kann. Dies schließt vorweggenommene Regelungen für künftige, in ihren Einzelheiten noch nicht absehbare Maßnahmen und damit einen "vorsorglichen" Interessenausgleich aus. In einer solchen Regelung läge in Wirklichkeit ein Verzicht auf die Mitgestaltung der künftigen Betriebsänderung (BAG v. 19.1.1999, NZA 1999, 949 = ZInsO 1999, 544 = ZIP 1999, 1411). Die Vermutungswirkungen eines Interessenausgleichs mit namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer gelten auch dann nicht, wenn die Arbeitnehmer nicht aufgrund der dem Interessenausgleich zugrunde liegenden Betriebsänderung, sondern aufgrund anderer betrieblicher Gründe entlassen werden sollen (ArbG Siegburg v. 17.7.1997 – 1 Ca 3510/96, MDR 1997, 1038 m. Anm. Moll = ZAP ERW 1998, 67 m. Anm. Berscheid; ebenso Berscheid, BuW 1997, 831, 832; ders., MDR 1998, 816, 817; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177, 179 m.w.N. in Fn 111; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 17).
Rz. 52
Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO kann nur an die vom (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalter und vom Betriebsrat gemeinsam zugrunde gelegte Betriebsänderung anknüpfen (LAG Düsseldorf v. 27.9.2001, LAGReport 2002, 125 = ZInsO 2002, 740). Deshalb ist es Sache des (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalters, den Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsänderung und den Entlassungen darzulegen. Dies kann bereits im Interessenausgleich selbst geschehen, wenn dort das Sanierungskonzept und seine Folgewirkungen auf die Arbeitsplätze kurz dargestellt werden. Das ist insb. bei einer Teileinschränkung eines Betriebes notwendig, die sich in Form eines bloßen Personalabbaus ohne Verringerung der sachwerten Betriebsmittel in der Größenordnung der Zahlen- und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG, aber mindestens 5 % der Belegschaft des Betriebes, vollzieht (LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352). Ist nur eine Betriebsänderung Gegenstand des Interessenausgleiches, wird dieser Kausalzusammenhang zwischen Betriebsänderung und Kündigung i.d.R. vermutet. Regelt der Interessenausgleich mehrere Betriebsänderungen oder eine mehrgliedrige Betriebsänderung, die entweder nicht gleichzeitig oder einheitlich oder von der eine oder ein Teil schließlich gar nicht durchgeführt wird, so ist vom Insolvenzverwalter im Prozess darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die Kündigung gerade in Vollzug der tatsächlich durchgeführten bzw. des tatsächlich durchgeführten Teils der Betriebsänderung ausgesprochen wurde; dieser Kausalzusammenhang nimmt in einem solchen Fall nicht an der Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO teil (ArbG Jena v. 15.2.2002, ZInsO 2002, 644).
Rz. 53
Die Regelungen des § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO gelten deshalb auch dann nicht, wenn es nur um die Kündigung einzelner Arbeitnehmer geht, ohne dass die Voraussetzungen für eine Betriebsänderung durch reinen Personalabbau gegeben sind (Grunsky/Moll, S 85 Rn 353; zust. Berscheid, S. 211 Rn 624; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 17). Die Anwendung des § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO scheidet des Weiteren aus, wenn zwischen den Betriebsparteien lediglich ein freiwilliger Interessenausgleich vereinbart wurde (so zu § 1 Abs. 5 KSchG a.F. ArbG ...