Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 38
Den (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalter trifft keine Pflicht, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 InsO abzuschließen. Kommt ein solcher Interessenausgleich nicht zustande, dann verbleibt es für die Überprüfbarkeit ausgesprochener Kündigungen des (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalters bei den allgemeinen Regelungen und Grundsätzen des KSchG (so bereits Warrikoff, BB 1994, 2338, 2341; DKKW/Däubler, § 125 InsO Rn 2; KDZ/Däubler, § 125 InsO Rn 2; Oetker/Friese, DZWIR 2001, 177), insb. bei der Darlegungs- und Beweislast des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG (LAG Hamm v. 1.4.2004, LAGReport 2005, 31). Kommt jedoch bei einer Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG ein Interessenausgleich zustande, dann wirkt sich dieser bei namentlicher Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer im Eröffnungsverfahren und bei Kündigungen nach Verfahrenseröffnung unterschiedlich aus,
Rz. 39
nämlich im Eröffnungsverfahren nur wie folgt:
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Vermutung, dass die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 1 Abs. 5 S. 1 KSchG), |
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Beschränkung der Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl der gekündigten Arbeitnehmer auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG) |
Rz. 40
und nach Verfahrenseröffnung weiter reichend wie folgt (Berscheid, S. 206 Rn 614; HWF, Kap. 5 Rn 270; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 11 ff.):
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Vermutung, dass die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO), |
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Beschränkung der Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl der gekündigten Arbeitnehmer nur in Bezug auf Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und nur auf grobe Fehlerhaftigkeit (§ 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO), |
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Vermutung, dass die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht wegen eines Betriebsüberganges erfolgt ist (§ 128 Abs. 2 InsO), falls der Betrieb in der Insolvenz seinen Inhaber wechselt, |
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Beschränkung der Überprüfbarkeit der Zuordnung der Arbeitnehmer zu einem bestimmten Betrieb oder Betriebsteil auf grobe Fehlerhaftigkeit bei Betriebsteilung (§ 323 Abs. 2 UmwG analog). |
Der Interessenausgleich mit Namensliste ist sowohl außerhalb eines Insolvenzverfahrens als auch insb. für den Insolvenzverwalter ein wesentliches und entscheidendes Instrumentarium für die Personalanpassung und Restrukturierung eines Betriebes.
I. Erleichterung der Massenentlassung durch Namensliste
Rz. 41
Der Interessenausgleich i.S.d. § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG bzw. nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO erleichtert auch das Verfahren zur Erstattung einer Massenentlassungsanzeige ggü. der Agentur für Arbeit nach § 17 KSchG. Gem. § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG für vor Verfahrenseröffnung und gem. § 125 Abs. 2 InsO für in der Insolvenz mit Namensliste aufgestellte Interessenausgleiche entfällt i.R.d. Anzeigenerstattung die Pflicht zur Beifügung einer Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Weder ein Interessenausgleich nach § 1 Abs. 5 KSchG oder nach § 125 Abs. 1 InsO noch ein solcher nach § 112 Abs. 1 BetrVG entbinden den (vorläufigen/endgültigen) Insolvenzverwalter jedoch von der Betriebsratsanhörung zu den konkret auszusprechenden Kündigungen nach § 102 BetrVG (Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 107, m.w.N. zum Sach- und Streitstand). Auch die Anforderungen an die Informationspflicht werden nicht herabgesetzt (LAG Hamm v. 21.3.2002, LAGReport 2002, 214 = ZInsO 2002, 644). Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG kann allerdings in die Verhandlung über den Interessenausgleich aufgenommen und die Stellungnahme des Betriebsrats zu den Kündigungen kann im Interessenausgleich festgehalten werden (ArbG Wesel v. 28.5.1997, NZA-RR 1997, 341 = ZAP ERW 1998, 45 m. Anm. Berscheid; LAG Düsseldorf v. 9.10.1997, DB 1998, 926). Es kann in der schriftlichen Vereinbarung über den Interessenausgleich zum Ausdruck gebracht werden, dass der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bzgl. der in der Namensliste angegebenen Personen einleitet und der Betriebsrat hinsichtlich aller Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt (LAG Hamm v. 16.1.2002, LAGReport 2002, 246 = ZInsO 2002, 644; LAG Hamm v. 1.4.2004, LAGReport 2005, 31). Die nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats zu der beabsichtigten Massenentlassung kann auch in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integriert werden. Zwar kann ein Interessenausgleich ohne Namensliste im Unterschied zu einem Interessenausgleich mit Namensliste mangels gesetzlicher Anforderung die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG nicht ersetzen. Eine in den Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme genügt jedoch den gesetzlichen Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG, wenn die Stellungnahme abschließend ist und erkennen lässt, dass sie sich auf die angezeigten Kündigungen bezieht (BAG v. 21.3.2012, ZInsO 2012, 1278).
Rz. 42
Eine Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG besteht bei allen Kündigungen ggü. Arbeitnehmern,...