Rz. 78

Gerade im Insolvenzfall besteht häufig das Bedürfnis nach der zügigen Durchführung einer Betriebsänderung und eines damit verbundenen größeren Personalabbaus. § 125 InsO trägt diesem Bedürfnis Rechnung und dient somit der Förderung "übertragender Sanierungen" (NR/Hamacher, § 125 InsO Rn 2; HK/Linck, § 125 InsO Rn 1; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 5). Zur Förderung von Sanierungschancen sowie zum Schutz der Insolvenzmasse vor langandauernden Kündigungsschutzstreitigkeiten werden für den Insolvenzverwalter deshalb Kündigungserleichterungen geschaffen und der individuelle Kündigungsschutz nach § 1 KSchG zugunsten einer kollektiv-rechtlichen Regelungsbefugnis der Betriebspartner begrenzt (HaKo/Ahrendt, § 125 InsO Rn 1). Durch den Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste sind die vom Insolvenzverwalter anschließend ausgesprochenen Kündigungen daher nur noch eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Gem. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO wird die Betriebsbedingtheit der Kündigung vermutet und nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO gilt für die Sozialauswahl ein eingeschränkter, auf grobe Fehlerhaftigkeit reduzierter Prüfungsmaßstab. Der allgemeine Kündigungsschutz in § 1 Abs. 5 KSchG ist mit dem Arbeitsmarktreformgesetz vom 1.1.2004 der insolvenzrechtlichen Regelung angenähert worden. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber nach wie vor darin, dass nur in der Insolvenz die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur privilegiert wird (HaKo/Ahrendt, § 125 InsO Rn 1) und nicht nur die bloße Aufrechterhaltung. Zudem sind Insolvenzverwalter und Betriebsrat nur verpflichtet, drei Sozialkriterien, d.h. das Lebensalter, die Betriebszugehörigkeit und etwaige Unterhaltspflichten, nicht aber die Schwerbehinderung, bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen (siehe Rdn 98).

1. Regelungsmöglichkeiten der Betriebspartner

 

Rz. 79

Beim Zustandekommen eines Interessenausgleiches mit Namensliste kann die getroffene Sozialauswahl von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin überprüft werden (§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO). Die Beschränkung des Prüfungsmaßstabes auf grobe Fehlerhaftigkeit tritt nur ein, wenn der Interessenausgleich wirksam zustande gekommen ist. Für Inhalt und Zustandekommen des Interessenausgleiches, das Vorliegen einer Betriebsänderung sowie die eindeutige Benennung der betroffenen Arbeitnehmer in der Namensliste ist der (vorläufige/endgültige) Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig (BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 182/15, NZA 2016, 1072; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 516/11, NZA 2013, 559; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Grunsky/Moll, Rn 281). Die Darlegungs- und Beweislast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl liegt dagegen auch bei Massenentlassungen gem. § 1 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 KSchG beim Arbeitnehmer, und zwar selbst dann, wenn diese die Folge einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112a BetrVG sind (Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Berscheid, S. 213 Rn 630; Giesen, ZfA 1997, 145, 175; Uhlenbruck/Zobel, § 125 InsO Rn 56).

 

Rz. 80

Generell erfolgt die Sozialauswahl in folgenden Schritten: Zuerst (i) ist der Kreis der vergleichbaren, austauschbaren Arbeitnehmer zu bestimmen. Ggf. sind des Weiteren Altersgruppen zu bilden, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird. Danach (ii) ist die soziale Auswahl (im engeren Sinne) nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG durchzuführen. Sodann (iii) können nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG weiterzubeschäftigende Arbeitnehmer von der Sozialauswahl nachträglich ausgenommen werden.

 

Rz. 81

Die Beschränkung der Überprüfung der getroffenen Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit bezieht sich nicht allein auf die Sozialindikatoren, also die sog. sozialen "Grund- oder Kerndaten" wie Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung, sondern auf sämtliche Bestandteile der Sozialauswahl (ausführlich dazu siehe § 30 Rdn 689 ff.), nämlich auf den auswahlrelevanten Personenkreis, die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern, die Bildung von Altersgruppen und die Gewichtung der sozialen Grund- oder Kerndaten (LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352). Die Betriebspartner können daher in der Insolvenz in einem Interessenausgleich mit Namensliste

den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer näher bestimmen (Auswahlgruppen, BAG v. 7.5.1998, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 28.8.2003, ZIP 2004, 1271 = NZA 2004, 432; BAG v. 21.2.2002, NZA 2002, 1360 = ZInsO 2002, 1103; LAG Hamm v. 12.11.2003, ZInsO 2004, 1097),
die Nichteinbeziehung von Arbeitnehmern, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, konkretisieren (Leistungsträgerregelung, so bereits LAG Hamm v. 2.9.1999, ZInsO 2000, 352; LAG Hamm v. 5.6.2003, DZWIR 2004, 153 m. Anm. Weisemann; BAG v. 17.11.2005, NZA 2006, 661 = ZInsO 2006, 724 = ZIP 2006, 774),
verbindlich Altersgruppen bilden, innerhalb derer die Sozialauswahl durchgeführt wird (Altersgruppenbildung, BAG v. 23...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge