Marnie Plehn, Peter Hützen
Rz. 9
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt weder zur Beendigung der bestehenden Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisse noch ändert sich der Inhalt der Dienst-/Arbeitsverhältnisse durch die Verfahrenseröffnung, § 108 InsO. Von der Insolvenz des Arbeitgebers unberührt bleiben auch der allgemeine und der besondere Kündigungsschutz der Arbeitnehmer. § 113 InsO enthält keinen selbstständigen Kündigungsgrund der Insolvenz oder Sanierung (BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, ZIP 2007, 595 = NZA 2007, 387) und lässt daher den gesetzlichen Kündigungsschutz nach dem KSchG sowie Sonderkündigungsschutz (z.B. von schwerbehinderten Arbeitnehmern, Betriebsratsmitgliedern oder Arbeitnehmern in Elternzeit; zu Auszubildenen siehe Rdn 34) grundsätzlich unberührt. Um die Kostenbelastung der Masse möglichst gering zu halten, schafft § 113 InsO jedoch die Möglichkeit, befristete und vertraglich oder tariflich unkündbare Arbeitsverhältnisse zu kündigen, § 113 S. 1 InsO. Befristete und auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse können – als Ausnahme zur Regelung des § 15 Abs. 3 TzBfG – nach § 113 S. 1 InsO selbst dann ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer gekündigt werden, wenn das Recht zur ordentlichen Kündigung nicht ausdrücklich vereinbart worden ist. Des Weiteren haben einzelvertragliche (LAG Köln v. 6.5.1987 – 9 Sa 1288/86, EWiR 1988, 85 m. Anm. Hanau = KTS 1988, 113; BAG v. 9.10.1997, ZInsO 1998, 142) oder tarifvertragliche (BAG v. 19.1.2000, ZInsO 2000, 568 = ZIP 2000, 985) Kündigungsbeschränkungen in der Insolvenz keine Bedeutung. Die gesetzliche Regelung greift sowohl ggü. bestehenden als auch ggü. künftigen Tarifverträgen. Sie erfasst auch tarifliche Kündigungserschwerungen, welche die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung ggü. ansonsten "unkündbaren" Arbeitnehmern an die Zahlung einer Sozialplanabfindung knüpfen, denn mit der Zielsetzung des § 113 InsO ist eine Unterscheidung zwischen (absolutem) Kündigungsausschluss und (finanziellen) Kündigungserschwerungen nicht zu vereinbaren (LAG Hamm v. 26.11.1998 – 8 Sa 1576/98, EWiR 1999, 467 m. Anm. Moll = ZInsO 1999, 302; LAG Hamm v. 14.1.1999, ZInsO 1999, 544). Darüber hinaus kürzt § 113 S. 2 InsO die Kündigungsfristen auf drei Monate zum Monatsende ab. Ist eine kürzere Kündigungsfrist einschlägig, bleibt es bei dieser (siehe Rdn 18).
Rz. 10
Da es bei einer außerordentlichen Kündigung keine ordentliche Kündigungsfrist geben kann (BAG v. 21.6.1995 – 2 ABR 28/94, NZA 1995, 1157; s. dazu auch Hilbrandt, NZA 1997, 465), handelt sich bei der Kündigung nach § 113 S. 1 InsO in Abkehr von der bisherigen Rspr. (BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, EWiR 1988, 85 m. Anm. Hanau = NZA 1985, 559 = ZIP 1985, 1351; BAG v. 18.9.1997, NZA 1998, 189 = ZAP ERW 1998, 86 m. Anm. Berscheid; BAG v. 5.2.1998, NZA 1998, 771 = ZAP ERW 1998, 133 m. Anm. Berscheid = ZInsO 1998, 191 = ZIP 1998, 1119; BAG v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, NZA 1999, 258) – in allen Varianten – um eine "ordentliche Kündigung" (Berscheid, InVo 1998, 32, 34; ders., ZInsO 1998, 115, 119; Giesen, ZIP 1998, 46, 47; Grunsky/Moll, Rn 335; HWF, Kap. 5 Rn 264; Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 70) und nicht etwa um eine außerordentliche mit sog. Auslauffrist (so aber Zwanziger, § 113 InsO Rn 9 f., 34; ferner Schaub, EWiR 1998, 69, 70), auch wenn die "erdienten" Kündigungsfristen gem. § 113 S. 2 InsO auf längstens drei Monate zum Monatsende "gekappt" werden (Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 70). Diese Feststellungen sind insb. für die Anhörung des Betriebsrats wichtig, da diesem die Art und Form der Kündigung mitzuteilen ist und ihm nicht bloß eine Drei-Tages-Frist (§ 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG), sondern eine Wochenfrist (§ 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG) zur Stellungnahme (Kenntnisnahme, Bedenken, Widerspruch, Zustimmung) einzuräumen ist (ausführlich zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei Kündigungen siehe § 29 Rdn 65 ff.).
1. Befristete und auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse
Rz. 11
Kalendermäßig befristete Arbeitsverhältnisse enden mit dem Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen sind (§ 15 Abs. 1 TzBfG). Zweckbefristete Arbeitsverhältnisse enden mit Erreichen des Zweckes, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter über den Zeitpunkt der Zweckerreichung (§ 15 Abs. 2 TzBfG). Auflösend bedingte Arbeitsverhältnisse enden mit dem Eintritt der Bedingung, frühestens jedoch zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Unterrichtung des Arbeitnehmers durch den Insolvenzverwalter über den Zeitpunkt des Bedingungseintritts (§ 21 i.V.m. § 15 Abs. 2 TzBfG). Die vorgenannten Arbeitsverhältnisse können daher grds. nur außerordentlich nach § 626 Abs. 1 BGB gekündigt werden, es sei denn, das Recht zur ordentlichen Kündigung ist einzelvertraglich oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart (§ 15 Abs. 3 TzBfG bzw. § 21 i.V.m. § 15 Abs. 3 TzBfG). Die Kündigung bedarf auch in diesen Fällen der Schriftform, denn die Regelung des § 623 BGB ist nicht auf den unbefristeten Arbeitsvertrag beschränkt (Uhlenbruck/Zobel, § 113 InsO Rn 66).
Rz. 12
Im Insol...