Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 4
Das in den §§ 129–147 InsO normierte Anfechtungsrecht dient dazu, Vermögensverschiebungen aus dem Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, wirtschaftlich zu revidieren. Das Anfechtungsrecht dient der Verwirklichung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung (par conditio creditorum).
Rz. 5
Demgegenüber schützt das Anfechtungsgesetz die Interessen von einzelnen Gläubigern außerhalb eines Insolvenzverfahrens; zur Anfechtung berechtigt ist hiernach der einzelne Gläubiger einer befriedigungsbedürftigen Forderung. Wurde der Anfechtungsgegner bereits vorinsolvenzlich nach dem AnfG in Anspruch genommen, scheidet ein Anspruch auf Rückgewähr zur Insolvenzmasse im Umfang der Erfüllung des Anfechtungsanspruchs aus.
Rz. 6
Erfahrungsgemäß neigen Schuldner in Krisenzeiten dazu, haftendes Vermögen dem Gläubigerzugriff zu entziehen, indem sie es auf nahestehende Personen übertragen. Gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen können aber auch von Gläubigern ausgehen, die bereits frühzeitig Kenntnis von der finanziellen Schieflage des Schuldners haben und diesen Wissensvorsprung zum Nachteil der sonstigen Gläubiger ausnutzen, etwa indem sie den Zahlungs- bzw. Vollstreckungsdruck erhöhen, weitere Lieferungen von Vorkassezahlungen abhängig machen, mit Insolvenzantragstellung oder Liefersperre drohen, Kreditlinien kürzen oder sicherungsübereignete Gegenstände, die dem Schuldner zur Nutzung überlassen wurden, vorzeitig beschlagnahmen.
Rz. 7
Die wirtschaftliche Bedeutung des Anfechtungsrechtes hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Viele Verfahren, die anderenfalls gem. § 26 InsO mangels Masse abgewiesen werden müssten, werden nur auf der Basis von Anfechtungsansprüchen eröffnet. Dem Insolvenzanfechtungsrecht kommt vor diesem Hintergrund eine erhebliche praktische Bedeutung und wichtige Ordnungsfunktion zu.
Rz. 8
Durch das Insolvenzanfechtungsrecht wird der an sich erst mit Verfahrenseröffnung zur Geltung kommende Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zeitlich nach vorne verlegt. Diesem Ziel dient auch die Rückschlagsperre des § 88 InsO, der zufolge Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einzelner Gläubiger, die in dem Monat vor Insolvenzantragstellung oder danach ausgebracht worden sind, mit Verfahrenseröffnung automatisch, also ohne dass es insoweit noch einer Anfechtung bedürfte, rückwirkend (relativ) unwirksam werden.
Rz. 9
Potentiell anfechtbar sind Rechtshandlungen, die einzelnen Gläubigern Sicherung oder Befriedigung gewährt haben, insbesondere, wenn sie innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung oder danach vorgenommen wurden, vgl. §§ 130 f. InsO. Rechtshandlungen, die mit dem Vorsatz getätigt werden, (andere) Gläubiger zu benachteiligen, sowie unentgeltliche Leistungen des Schuldners sind nach Maßgabe der §§ 133 f. InsO in deutlich erweitertem zeitlichem Umfang von bis zu zehn bzw. vier Jahren anfechtbar.
Im Bereich der Nachlassinsolvenzen kommt insbesondere der Schenkungsanfechtung (§ 134 InsO) erhebliche praktische Bedeutung zu.
Rz. 10
Alle Anfechtungstatbestände setzen das Vorliegen einer Rechtshandlung i.S.d. § 129 InsO, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, voraus. Anders als bei der Anfechtung gem. §§ 119 ff. BGB können bei der Insolvenzanfechtung nicht nur Willenserklärungen angefochten werden, sondern auch Realakte. Anfechtbar sind insbesondere Verfügungen des Schuldners, wie die Übereignung von Sachen, die Abtretung von Forderungen oder anderen Rechten, die Verpfändung von Sachen oder Rechten oder die Belastung von Grundstücken. Auch die Zahlung einer Geldstrafe unterliegt der Insolvenzanfechtung, da die Strafvollstreckung keinen Vorrang vor dem Insolvenzrecht hat.
Rz. 11
Als Rechtshandlung anfechtbar können des Weiteren Maßnahmen von Gläubigern oder Dritten sein, insbesondere Zwangsvollstreckungen. Angefochten werden können schließlich auch Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder solche des Schuldners, die mit Zustimmung eines schwachen vorläufigen Verwalters getätigt wurden, auch wenn der anfechtende Insolvenzverwalter personenidentisch mit dem vorläufigen Verwalter ist. Im Einzelfall kann die Anfechtung ausgeschlossen sein, wenn der Insolvenzverwalter zuvor einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und der Empfänger der Leistung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) damit rechnen durfte, ein auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entziehbares Recht erhalten zu haben.
Rz. 12
Nicht anfechtbar sind hingegen Rechtshandlungen des Rechtsvorgängers des Schuldners. Bei einer Gesamtrechtsnachfolge im Wege der Erbschaft ist eine Anfechtung von Rechtshandlungen des Erblassers durch den Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erben nicht möglich, da diese allenfalls zu einer Benachteiligung der Gläubiger des Erblassers, nicht jedoch der Gläubiger des Erben geführt haben können.
Rz. 13
Theoretisch können auc...