Klaus von Brocke, Dr. Stefan Müller
Rz. 324
Bei Auswanderung eines deutschen Staatsangehörigen in niedrig besteuernde Staaten unter Beibehaltung wesentlicher wirtschaftlicher Interessen im Inland erweitern die §§ 2, 4 und 5 AStG unter bestimmten Voraussetzungen die beschränkte Steuerpflicht. Insbesondere muss der Auswandernde in den letzten zehn Jahren mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sein.
Rz. 325
Nach § 2 Abs. 1 AStG sind auch die über die nach § 49 Abs. 1 EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte hinausgehenden inländischen Einkünfte der deutschen Einkommensbesteuerung zu unterwerfen.
Rz. 326
Beispiel 1: A war in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig und ist an der X-GmbH zu 20 % beteiligt. A zieht in einen anderen Staat, der ihm eine niedrige Besteuerung entsprechend § 2 Abs. 2 AStG bietet. A hält weiterhin seine Beteiligung an der X-GmbH.
Da es sich bei der Beteiligung des A um eine wesentliche Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG handelt, hat er noch wesentliche wirtschaftliche Interessen in der Bundesrepublik i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 AStG und unterliegt demgemäß der erweiterten beschränkten Steuerpflicht. Er ist daher nach § 2 Abs. 5 AStG mit seinen inländischen Einkünften in Deutschland unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Steuersatzes zur Einkommensteuer (einschließlich Solidaritätszuschlag) zu veranlagen, der sich für sämtliche seiner Einkünfte ergäbe (Progressionsvorbehalt). Inwieweit ggf. auch der Abgeltungssteuertarif zur Anwendung kommt, ist vom Gesetz nicht geregelt und bisher nicht geklärt. Etwaige inländische Quellensteuern (z.B. Kapitalertragsteuer) haben abweichend von § 50 Abs. 5 EStG keine abgeltende Wirkung und eine Zusammenveranlagung kommt nicht in Frage. Die Höhe der danach festzusetzenden Steuer ist jedoch nach § 2 Abs. 6 AStG auf die Höhe der im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht entstehenden Steuer nach oben und für den Fall, dass diese fiktive unbeschränkte Steuerpflicht zu einer niedrigeren Steuer führt, auf die bei beschränkter Steuerpflicht entstehende Steuer nach unten begrenzt.
Rz. 327
Für den von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AStG erfassten Personenkreis enthält § 5 AStG zudem eine spezielle Hinzurechnungsbesteuerung. Hierdurch soll die Zwischenschaltung ausländischer Gesellschaften zum Zweck der Vermeidung der erweiterten beschränkten Steuerpflicht nach § 2 AStG im Fall des Wegzugs verhindert werden.
Rz. 328
Beispiel 2: Wie Beispiel 1. A bringt vor dem Wegzug seine Anteile an der X-GmbH steuerneutral nach § 21 UmwStG in eine französische S.A. ein.
A wären die der S.A. aus der X-GmbH zufließenden Einkünfte (Gewinnausschüttungen) unmittelbar zuzurechnen, wenn es sich hierbei um passive Einkünfte i.S.d. § 8 AStG handelte. Er hätte diese in dem Jahr entsprechend § 2 AStG zu versteuern, in dem das Wirtschaftsjahr der zwischengeschalteten Gesellschaft (S.A.) endet, in dem sie angefallen sind. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG stellen Gewinnausschüttungen aus Kapitalgesellschaften jedoch aktive Einkünfte dar, so dass § 5 AStG nicht zur Anwendung kommt. Mithin reicht der Anwendungsbereich des § 5 AStG nicht so weit wie der des § 2 AStG, der auch aktive Einkünfte erfasst.
Rz. 329
Auch die hier genannten Bestimmungen sind wegen Verstoßes gegen die Grundfreiheiten aus europarechtlicher Sicht angreifbar.
Rz. 330
Dementsprechend sollten Steuerbescheide, in denen diese Bestimmungen zur Anwendung kommen, ggf. durch Rechtsbehelfe offengehalten werden.