Rz. 91
Das Ertragsteuerrecht (Einkommensteuer) unterscheidet bei der Einordnung von Nießbrauchsrechten strikt zwischen dem Vorbehaltsnießbrauch auf der einen Seite und dem Zuwendungsnießbrauch auf der anderen Seite.
Beim Vorbehaltsnießbrauch ist der Nießbraucher der ehemalige Eigentümer des belasteten Vermögensgegenstandes. Im Rahmen der Übertragung behält er sich die Erträge des Vermögens, also den Nießbrauch vor. Der Erwerber erhält also von vornherein nur den belasteten Vermögensgegenstand.
Beim Zuwendungsnießbrauch ist die Situation anders. Hier erfolgt die Nießbrauchsbestellung durch den (ursprünglichen) Eigentümer des Gegenstandes zugunsten eines Dritten.
Rz. 92
Grundsätzlich bilden die steuerpflichtigen Einkünfte den Gegenstand der Einkommensteuer. Bei Nießbrauchsverhältnissen werden diese steuerpflichtigen Einkünfte regelmäßig durch den Nießbraucher erzielt. Der Eigentümer selbst hat wegen des Nießbrauchs nicht die Möglichkeit, den jeweiligen Vermögensgegenstand zu nutzen bzw. hieraus Einkünfte zu erzielen. Dieses Recht ist vielmehr dem Nießbraucher vorbehalten.
a) Vorbehaltsnießbrauch an Kapitalvermögen
Rz. 93
Bildet Kapitalvermögen (z.B. im steuerlichen Privatvermögen gehaltene Anteile an der das Familienunternehmen tragenden Kapitalgesellschaft) den Gegenstand des Nießbrauchs, so handelt es sich insoweit um einen Nießbrauch an Rechten, der ertragsteuerlich nur dann relevant ist, wenn das Vermögen, an dem der Nießbrauch besteht, überhaupt einen Ertrag abwirft, im Regelfall also Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 EStG. Dies ist regelmäßig der Fall beim Nießbrauch an GmbH-Geschäftsanteilen, Aktien und sonstigen Wertpapieren.
Rz. 94
Die steuerrechtliche Beurteilung ist im Einzelnen umstritten. Man kann jedoch mit der herrschenden Meinung davon ausgehen, dass – beim Vorbehaltsnießbrauch – der Nießbraucher (also der bisherige Vermögensinhaber) Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt (und nicht sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 EStG).
b) Vorbehaltsnießbrauch an Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens
Rz. 95
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Übertragung einzelner Gegenstände des Betriebsvermögens – auch unter Nießbrauchsvorbehalt – stets die Frage aufwirft, ob und inwieweit hierdurch nicht eine Entnahme unter Aufdeckung der in dem Vermögensgegenstand gebundenen stillen Reserven in Betracht kommt. Vor diesem Hintergrund ist in diesem Bereich stets erhöhte Vorsicht geboten.
aa) Vorbehaltsnießbrauch an Einzelunternehmen
Rz. 96
Soweit die Übertragung eines Einzelunternehmens in Rede steht und in diesem Zusammenhang – trotz der oben dargestellten ertragsteuerlichen Probleme anlässlich der Übertragung – zugunsten des Schenkers ein Nießbrauchsrecht vorbehalten wird, ist auch wegen der steuerrechtlichen Beurteilung zwischen dem reinen Ertragsnießbrauch und dem Vollrechtsnießbrauch zu unterscheiden.
Rz. 97
Der reine Ertragsnießbrauch ist ertragsteuerlich unbeachtlich. Die Weiterleitung des Ertrags an den Nießbrauchsberechtigten stellt eine steuerlich irrelevante Einkommensverwendung dar (§ 12 Nr. 2 EStG) mit der Folge, dass sämtliche Gewinne vom Eigentümer des Unternehmens zu versteuern sind.
Beim Vollrechtsnießbrauch (Unternehmensnießbrauch) gelten im Ergebnis dieselben steuerrechtlichen Folgen wie bei einer Betriebsverpachtung im Ganzen. Das bedeutet, es bestehen zwei Betriebe. Zum einen ein sogenannter ruhender Gewerbebetrieb des Eigentümers und zum anderen ein tatsächlich operativ wirtschaftender Betrieb des Nießbrauchers.
Rz. 98
Das Anlagevermögen wird dem Betriebsvermögen des Eigentümers zugerechnet, eine Aufdeckung stiller Reserven findet (nur wegen des Nießbrauchs) nicht statt. Das Umlaufvermögen wird demgegenüber dem Nießbraucher zugerechnet, es dient diesem zum operativen Betrieb.
bb) Vorbehaltsnießbrauch an Personengesellschaftsanteilen
Rz. 99
Bei Personengesellschaftsanteilen hängt die ertragsteuerliche Beurteilung maßgeblich davon ab, ob der Nießbraucher als Mitunternehmer der Gesellschaft anzusehen ist, ob er also Mitunternehmerrisiko trägt und Mitunternehmerinitiative entfalten kann. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn dem Nießbraucher bezüglich der Beteiligung Mitwirkungs- und Verwaltungsrechte zustehen und seine Rechtstellung daher wenigstens der eines Kommanditisten vergleichbar ist. Dies ist beim echten Nießbrauch, also beim Vollrechtsnießbrauch, grundsätzlich als gegeben anzunehmen, nicht aber beim reinen E...