Rz. 231
Es herrscht bereits erheblicher Streit, wie der Begriff des "wirtschaftlichen Totalschadens" definiert werden soll:
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Der BGH hat sich der Auffassung angeschlossen, die Obergrenze, bis zu welcher der Geschädigte ohne Rücksicht auf seine tatsächliche Disposition auf der Basis der (geschätzten oder tatsächlichen) Reparaturkosten abrechnen könne, werde allein durch den Wiederbeschaffungswert gezogen (BGH zfs 2003, 403 ff.), d.h. erst dann, wenn die Reparaturkosten höher sind als der Wiederbeschaffungswert, liegt Totalschaden vor (AG Limburg zfs 1999, 15 m. Anm. Diehl; OLG Hamm zfs 1997, 371; so auch Rötgering, zfs 1995, 441). |
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Nach anderer Auffassung liegt ein wirtschaftlicher Totalschaden vor, wenn die Reparaturkosten plus Wertminderung höher sind als Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert (OLG Hamm NZV 1999, 297). |
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Die überwiegende Anzahl der Oberlandesgerichte vertritt die Auffassung, dass wirtschaftlicher Totalschaden dann vorliegt, wenn die Reparaturkosten höher sind als Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert (OLG Nürnberg NZV 1990, 465; OLG München zfs 1991, 303; OLG Düsseldorf NZV 1995, 232; OLG Saarbrücken MDR 1998, 1346; OLG Karlsruhe MDR 2000, 697; OLG Hamm VersR 2000, 1122; OLG Köln zfs 2002, 74; Steffen, DAR 1997, 299). |
Rz. 232
Durch die getroffene Entscheidung des BGH ist diese Frage nunmehr endgültig entschieden. Die vom BGH jetzt gestützte Ansicht, dem Geschädigten sei Reparaturkostenersatz bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes unter Ausklammerung des Restwertes zuzubilligen, begründet dies damit, dass mit der Berücksichtigung des Restwertes bei der Berechnung des Schadensersatzes in die Ersetzungsbefugnis und die Dispositionsfreiheit des Geschädigten eingegriffen würde (BGH zfs 2003, 403 ff.). Hinzu komme, dass durch die Bestimmung eines fiktiven Restwertes die Schadensabrechnung mit einer weiteren Unsicherheit belastet werde, z.B. in der Praxis durch die Restwertangebote, welche die Versicherer aus dem Internet herbeischaffen (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2001, 125 m.w.N.; Eggert, DAR 2001, 20 ff.).
Rz. 233
Wird der Pkw nämlich von dem Geschädigten tatsächlich repariert und weiter genutzt, so stellt sich der Restwert lediglich als hypothetischer Rechnungsposten dar, den der Geschädigte nicht realisiert und der sich daher in der Schadenbilanz nicht niederschlagen darf (BGH zfs 2003, 403 ff.; BGH v. 7.6.2005 – VI ZR 192/04 – VersR 2005, 1297 = zfs 2005, 598; DAR 2005, 503 ff.).
Rz. 234
Merke
Wenn das vom Sachverständigen geschätzte Reparaturkostenvolumen unter dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges liegt, die Reparatur tatsächlich ausgeführt wurde und das Fahrzeug weiterbenutzt wird, kommt es auf die Qualität der Reparatur nicht an. Der Geschädigte kann auf der Basis der fiktiven Reparaturkosten abrechnen, auch wenn er das Fahrzeug selbst oder billiger repariert hat (vgl. oben Rdn 70 ff.).
Rz. 235
Ausschließlich dann, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug nicht repariert, sondern verkauft, es also nicht weiterbenutzt, ist von einem Totalschaden auszugehen, wenn die geschätzten Reparaturkosten höher sind als die Differenz von Wiederbeschaffungswert und Restwert (vgl. dazu Rdn 74).
Rz. 236
Nach dieser Vergleichsrechnung kann ein Totalschaden auch vorliegen, wenn bei einem Unfall nur geringfügige Beschädigungen entstanden sind und sich zugleich ein ungewöhnlich hoher Restwert ergibt.
Beispiel
Reparaturkosten 5.000 EUR liegen höher als Wiederbeschaffungswert 35.000 EUR abzüglich Restwert 32.000 EUR = 3.000 EUR.
Rz. 237
Eine solche Konstellation kann z.B. bei besonders beliebten und wertstabilen Pkw-Modellen (z.B. Daimler-Benz, Porsche) eintreten. Da kein echter Totalschaden vorliegt, macht die Abrechnung der Reparaturkosten durch Vorlage einer Rechnung oder sonstiger Reparaturnachweise keine Schwierigkeiten. Weil jedoch ein wirtschaftlicher (rechnerischer) Totalschaden vorliegt, braucht der Schädiger bzw. dessen Versicherer bei fiktiver Schadensabrechnung (und fehlendem Nachweis der Weiternutzung) den Fahrzeugschaden grundsätzlich nur auf "Totalschadenbasis" abzurechnen, also nach der Formel "Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert", in obigem Beispiel also nur 3.000 EUR zu zahlen (vgl. oben Rdn 74).
Rz. 238
Dieses Ergebnis erscheint wegen der hohen Diskrepanz zwischen Wiederbeschaffungswert und Reparaturkosten unbillig, da es bei dieser Fallgestaltung sehr viel näher liegt, wenn der Geschädigte seinen Pkw tatsächlich reparieren lässt als in den Fällen schwerer Beschädigungen, aber geringen Restwerts.
Beispiel
Reparaturkosten 12.500 EUR liegen niedriger als Wiederbeschaffungswert 15.000 EUR abzüglich Restwert 2.000 EUR.
Rz. 239
In diesem zweiten Fall wird der Geschädigte sich überlegen müssen, ob die Durchführung der Reparatur tatsächlich sinnvoll ist oder ob er nicht doch besser einen neuen Pkw erwirbt.
Rz. 240
Auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar 1990 und 2002 war einstimmig beschlossen worden, dass die erläuterte Vergleichsrechnung zur Ermittlung eines Totalschadens nur erfolgen solle, we...