Rz. 108
a) Der Fall
Rz. 109
Die Klägerin nahm die Beklagte als Haftpflichtversicherer aus gemäß § 6 Abs. 1 EFZG übergegangenem Recht auf Erstattung der Entgeltfortzahlung an ihre ehemalige Arbeitnehmerin, die Zeugin W., nach einem Auffahrunfall in Anspruch, für den die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach außer Streit stand.
Rz. 110
Bei dem Unfall fuhr die Fahrerin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw an einer roten Lichtzeichenanlage von hinten auf den Pkw der Klägerin auf, der von W. geführt wurde. Auf der Grundlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. M., die eine siebentägige Arbeitsunfähigkeit attestierte, leistete die Klägerin an W. eine Entgeltfortzahlung.
Rz. 111
Mit der Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung des entsprechenden Betrages verlangt. Sie hat behauptet, die attestierte Arbeitsunfähigkeit der Zeugin W. sei Folge einer durch den Unfall bedingten HWS-Distorsion. Die Beklagte hat behauptet, bei dem Auffahrunfall sei es nur zu einem leichten Stoßimpuls gekommen, der nicht geeignet gewesen sei, das behauptete Verletzungsbild der Zeugin W. hervorzurufen.
Rz. 112
Das AG hat der Klage stattgegeben. Das Gericht hat es durch die Aussage der Zeugin W. als erwiesen angesehen, dass diese aufgrund des Unfallereignisses eine HWS-Distorsion erlitten habe und dementsprechend arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei, mithin der Unfall kausal für die Entgeltfortzahlung gewesen sei.
Rz. 113
Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 114
Mit Erfolg rügte die Revision, dass sich das Berufungsgericht bei der Prüfung der unfallbedingten Rechtsgutsverletzung lediglich mit dem Vorliegen einer HWS-Distorsion befasst und diese nicht für bewiesen erachtet hat. Die Zeugin W. hatte nach den Feststellungen des AG glaubhaft bekundet, nach dem Unfall unter "starken Nacken- und Kopfschmerzen" gelitten zu haben. Diese bei der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände hat sich die Klägerin zumindest hilfsweise zu Eigen gemacht. Auch diese Beschwerden können als unfallbedingte Körperverletzung zu bewerten sein. Denn der Begriff der Körperverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1, § 11 StVG ist weit auszulegen und umfasst jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (Senatsurt. v. 17.9.2013 – VI ZR 95/13, NJW 2013, 3634 Rn 12 m.w.N.). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts läuft der Verzicht auf die Verifizierung eines bestimmten Diagnoseinhalts und die Beschränkung der Prüfung darauf, ob überhaupt eine Körper- oder Gesundheitsverletzung vorliegt, nicht darauf hinaus, einen Verletzungsverdacht ausreichen zu lassen. Denn auch dann, wenn sich die Diagnose HWS-Distorsion nicht verifizieren lässt, können glaubhaft bekundete starke Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutsverletzung und nicht nur einen Verletzungsverdacht begründen. Für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität ist dann entscheidend, ob die Beschwerden durch den Unfall hervorgerufen wurden.
Rz. 115
Die Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 S. 1 ZPO. Dieses wird die Feststellungen zur Frage des Vorliegens unfallbedingter starker Nacken- und Kopfschmerzen nachzuholen haben. Bejahendenfalls wird es für die Frage, ob die Beschwerden zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und damit zum (normativen) Verdienstausfallschaden führten (haftungsausfüllende Kausalität), das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO anzuwenden haben. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass der Tatrichter den Beweis, dass krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag, normalerweise als erbracht ansehen kann, wenn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt (vgl. Senatsurt. v. 16.10.2001 – VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63, 67, juris Rn 12; BAG, NJW 2017, 1129 Rn 17; NJW 1998, 2762, juris Rn 13), und dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht arbeitet, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden entsteht (vgl. Senatsurt. v. 16.10.2001 – VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63, 67, juris Rn 12).