Rz. 75
Gem. § 171 Abs. 1 SGB IX soll das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb eines Monats ab Antragseingang treffen. Wird die Frist überschritten, hat dies auf die Wirksamkeit der Entscheidung keinen Einfluss. Die Zustimmungserklärung wird dadurch auch nicht entbehrlich. Unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO kann Untätigkeitsklage erhoben werden. Gegen die Entscheidung des Integrationsamts kann Widerspruch i.S.d. § 69 VwGO erhoben werden. Ein laufendes Kündigungsschutzverfahren wird nicht bis zur Entscheidung über den Widerspruch ausgesetzt.
Rz. 76
Das Integrationsamt hat gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist das Interesse des Arbeitgebers, den Betrieb nach primär wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, gegen das Interesse des betroffenen schwerbehinderten Menschen, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, abzuwägen. Es gilt daher einerseits, Nachteile des schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen und andererseits zu vermeiden, dem Arbeitgeber einseitig Lohnzahlungspflichten aufzuerlegen. Wird die Kündigung auf Gründe gestützt, die mit der Behinderung im Zusammenhang stehen, sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung besonders hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist regelmäßig zu prüfen, ob die in der Schwerbehinderung wurzelnde personenbedingte Minderleistung nicht durch Inanspruchnahme von Mitteln des Integrationsamtes – etwa die Zahlung eines Minderleistungsausgleichs gem. § 185 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX i.V.m. § 27 SchwbAV (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung) – behoben und damit wirtschaftlich zumutbar gemacht werden kann.
Rz. 77
Das Ermessen des Integrationsamtes wird durch die Fallgruppen in § 172 SGB IX eingeschränkt. So ist z.B. gem. § 172 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Zustimmung zu erteilen, wenn ein Betrieb stillgelegt wird und zwischen dem Tag des Zugangs der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Gem. § 171 Abs. 5 S. 1 SGB IX ist in den Fällen des § 172 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 SGB IX die Entscheidung über den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung innerhalb eines Monats zu treffen, ansonsten gilt die Zustimmung als erteilt (Zustimmungsfiktion durch Fristablauf). Praxisrelevant ist ferner die Vorschrift des § 172 Abs. 2 SGB IX, wonach die Zustimmung erteilt werden soll, wenn dem schwerbehinderten Menschen von demselben oder einem anderen Arbeitgeber ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz verbindlich angeboten worden ist.
Rz. 78
Praxishinweis
Das Integrationsamt nimmt keine abschließende arbeitsrechtliche Beurteilung, sondern lediglich eine Interessenabwägung vor. Es prüft daher nicht, ob die beabsichtigte Kündigung sozial gerechtfertigt ist oder ein wichtiger Grund vorliegt. Diese Entscheidung bleibt den Arbeitsgerichten vorbehalten.
Nach einer Entscheidung des OVG Hamburg ist für die nach § 168 SGB IX zu treffende Ermessenentscheidung nicht von Relevanz, ob der Arbeitgeber die Schwerbehindertenquote (§§ 154 ff. SGB IX) erfüllt hat, da es sich bei dieser Beschäftigungspflicht um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Staat handelt. Diesem Ansatz hat sich das BAG angeschlossen. § 154 Abs. 1 SGB IX begründe lediglich eine abstrakte, gruppenbezogene Organisationspflicht des Arbeitgebers, nicht aber Individualansprüche der schwerbehinderten Menschen. Das BVerwG hatte sich zu § 5 Abs. 1 SchwbG (jetzt § 154 Abs. 1 SGB IX) dahingehend geäußert, dass die fehlende Erfüllung der Beschäftigungspflicht in der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sei.
Rz. 79
Das Integrationsamt kann entweder die Zustimmung zur Kündigung erteilen, den Antrag ablehnen oder ein sog. Negativattest erteilen. Dieses Negativattest wird dann erteilt, wenn das Integrationsamt zu dem Ergebnis kommt, dass die Kündigung nicht zustimmungsbedürftig ist und beseitigt – ebenso wie die Zustimmung – die Kündigungssperre des § 168 SGB IX.
Rz. 80
Wird die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung oder ein Negativattest erteilt, kann der Arbeitgeber gem. § 171 Abs. 3 SGB IX die Kündigung nur innerhalb eines Monats erklären, d.h., die Kündigung muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Zustimmungsbescheids dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zugehen. Das gilt auch, wenn es sich bei dem Kündigungsgrund um einen Dauertatbestand handelt. Die Monatsfrist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung des Integrationsamtes an den Arbeitgeber zu laufen. Dem Arbeitgeber soll hierdurch die Möglichkeit genommen werden, lediglich vorsorglich eine Erlaubnis zur Kündigung einzuholen, um dann irgendwann einmal bei Bedarf kündigen zu können. Bleibt der Kündigungsgrund unverändert, kann der Arbeitgeber in diesem Zeitraum auch mehrfach kündigen, ohne eine erneute Zustimmung einholen zu müssen. Bei Fristversäumung tritt das Kündigungs...