Rz. 107
Das betriebsverfassungsrechtliche Mandat schützt nicht uneingeschränkt vor Kündigungen. Den in § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützten Personen kann außerordentlich gekündigt werden, wenn zum einen ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt und zum anderen der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hat oder die Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzt worden ist. Eine mangels Vorliegen eines wichtigen Grundes unwirksame verhaltensbedingte außerordentliche fristlose Kündigung eines Mandatsträgers kann aber nicht in eine außerordentliche Kündigung mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist oder eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden.
a) Wichtiger Grund
Rz. 108
Gem. § 626 Abs. 1 BGB ist eine Kündigung zulässig, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten ist, wobei alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und die widerstreitenden Interessen abzuwägen sind. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist die Kündigungsfrist zugrunde zu legen, die ohne den besonderen Kündigungsschutz bei einer ordentlichen Kündigung gelten würde. Für die Beurteilung des wichtigen Grundes steht die durch § 15 KSchG geschützte Person im Grundsatz jedem anderen Arbeitnehmer gleich. Der betriebsverfassungsrechtliche Amtsinhaber darf zwar wegen der Wahrnehmung seiner Funktion gem. § 78 BetrVG nicht benachteiligt werden, andererseits ist der geschützte Personenkreis aber auch nicht besser zu behandeln als andere Mitarbeiter im Betrieb. Eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ist allerdings nicht möglich, da sich hier die Benachteiligungsgefahr realisieren würde, die § 15 KSchG gerade ausschließen will.
Rz. 109
Als wichtiger Grund kommen insbesondere schwere Verletzungen von arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten in Betracht, z.B. vorsätzliche gerichtliche Falschaussage gegen den Arbeitgeber oder zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelikte. Werden dagegen ausschließlich betriebsverfassungsrechtliche Amtspflichten (z.B. Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht nach § 79 BetrVG) verletzt, scheidet eine außerordentliche Kündigung aus. In diesem Fall ist der Arbeitgeber berechtigt, das Amtsenthebungsverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG einzuleiten. Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn das Betriebsratsmitglied zur Erreichung individueller Ziele ankündigt, Kollegen auf möglicherweise noch nicht erfüllte Ansprüche aus dem BUrlG oder dem EFZG aufmerksam zu machen. Treffen Arbeitsvertrags- und Amtspflichtverletzungen zusammen, was in der Praxis häufig vorkommt, sind an das Vorliegen des wichtigen Grundes besonders strenge Anforderungen zu stellen. Die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB gilt auch im Anwendungsbereich des § 15 KSchG.
Rz. 110
Auch eine außerordentliche Änderungskündigung kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung setzt zunächst auf Seiten des Arbeitgebers voraus, dass für ihn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen unzumutbar geworden ist, d.h. die erstrebten Änderungen unabweisbar notwendig sind. Darüber hinaus müssen die neuen Arbeitsbedingungen dem Gekündigten zumutbar sein. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Während das BAG im Falle der außerordentlichen Beendigungskündigung bei der Zumutbarkeitsprüfung auf die fiktive ordentliche Kündigungsfrist abstellt (vgl. Rdn 108), legt es bei der außerordentlichen Änderungskündigung einen anderen Maßstab zugrunde und stellt auf die Dauer des besonderen Kündigungsschutzes einschließlich des Nachwirkungszeitraums ab.