Rz. 74
Das absolute Kündigungsverbot greift nicht ein, wenn das Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung erteilt hat.
Die Zustimmung hat der Arbeitgeber gem. § 170 Abs. 1 SGB IX vor Ausspruch der Kündigung schriftlich, und zwar in doppelter Ausfertigung, bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamtes zu beantragen. Zuvor ist die Schwerbehindertenvertretung gem. § 178 Abs. 2 SGB IX über den beabsichtigten Antrag anzuhören und ihr ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das Antragsverfahren für die ordentliche Kündigung ist in §§ 170–172 SGB IX, das für die außerordentliche in § 174 SGB IX geregelt. Gegenüber der Schwerbehindertenvertretung muss ein eigenes und von Betriebs- und Personalrat unabhängiges, Beteiligungsverfahren durchgeführt werden. Es reicht daher nicht aus, der Schwerbehindertenvertretung lediglich das an den Betriebs- bzw. Personalrat gerichtete Anhörungsschreiben zur Kenntnisnahme weiterzuleiten. Gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX muss die Schwerbehindertenvertretung nach dem Kündigungsentschluss unverzüglich unterrichtet und angehört werden. Es gelten die gleichen Grundsätze wie für die Unterrichtung eines Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG. In zeitlicher Reihenfolge ist es ausreichend, wenn sie vor Ausspruch der Kündigung angehört wird. Nicht erforderlich ist es, die Schwerbehindertenvertretung bereits vor der Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats oder vor dem Antrag auf Zustimmung an das Integrationsamt zu beteiligen.
Nach Ansicht des BAG ergeben sich aus dem Zustimmungsverfahren im Grundsatz keine Beschränkungen hinsichtlich der im Kündigungsschutzverfahren zu berücksichtigenden Gründe. Ein Nachschieben anderer Kündigungsgründe wäre demnach ohne erneutes Zustimmungsverfahren zumindest dann möglich, wenn der nachgeschobene Grund nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht und die Zustimmung zu der Kündigung daher nicht verweigert werden darf. Anderer Auffassung ist allerdings das BVerwG, das davon ausgeht, dass die Zustimmung zu einer Kündigung lediglich zu den angegebenen Gründen erteilt wird. Die Literaturmeinungen zu dieser Thematik sind uneinheitlich.
Bedarf die ordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen außer der Zustimmung des Integrationsamtes einer Zulässigkeitserklärung nach § 18 Abs. 1 S. 2 BEEG und hat der Arbeitgeber diese vor dem Ablauf der Monatsfrist des § 171 Abs. 3 SGB IX beantragt, kann die Kündigung noch nach Fristablauf wirksam ausgesprochen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich erklärt, nachdem die Zulässigkeitserklärung nach § 18 BEEG vorliegt.
1. Ordentliche Kündigung
Rz. 75
Gem. § 171 Abs. 1 SGB IX soll das Integrationsamt seine Entscheidung innerhalb eines Monats ab Antragseingang treffen. Wird die Frist überschritten, hat dies auf die Wirksamkeit der Entscheidung keinen Einfluss. Die Zustimmungserklärung wird dadurch auch nicht entbehrlich. Unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO kann Untätigkeitsklage erhoben werden. Gegen die Entscheidung des Integrationsamts kann Widerspruch i.S.d. § 69 VwGO erhoben werden. Ein laufendes Kündigungsschutzverfahren wird nicht bis zur Entscheidung über den Widerspruch ausgesetzt.
Rz. 76
Das Integrationsamt hat gem. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB X den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist das Interesse des Arbeitgebers, den Betrieb nach primär wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen, gegen das Interesse des betroffenen schwerbehinderten Menschen, seinen Arbeitsplatz zu erhalten, abzuwägen. Es gilt daher einerseits, Nachteile des schwerbehinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen und andererseits zu vermeiden, dem Arbeitgeber einseitig Lohnzahlungspflichten aufzuerlegen. Wird die Kündigung auf Gründe gestützt, die mit der Behinderung im Zusammenhang stehen, sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung besonders hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist regelmäßig zu prüfen, ob die in der Schwerbehinderung wurzelnde personenbedingte Minderleistung nicht durch Inanspruchnahme von Mitteln des Integrationsamtes – etwa die Zahlung eines Minderleistungsausgleichs gem. § 185 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Buchst. e SGB IX i.V.m. § 27 SchwbAV (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung) – behoben und damit wirtschaftlich zumutbar gemacht wer...