Patricia Goratsch, Florian Enzensberger
Rz. 74
§ 2100 BGB erlaubt die Anordnung einer zeitlichen Aufeinanderfolge verschiedener Erben nach einem Erblasser. Dies bedeutet, dass der Vorerbe den ererbten Nachlass an den als Nacherben berufenen Erben herauszugeben hat. Vorerbe und Nacherbe werden beide Erben des Erblassers. Jeder ist auf Zeit Alleinerbe und beide sind jeweils Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers, der folglich zweimal beerbt wird. Mit dem Nacherbfall geht die Erbschaft, die bis dahin ein durch das Nacherbenrecht gebundenes Sondervermögen war, von selbst und unmittelbar auf den Nacherben über (§ 2139 BGB). Deshalb kann es vom Vorerben nicht weitervererbt werden. An dem Sondervermögen entstehen auch keine Pflichtteilsansprüche der Verwandten des Vorerben gem. § 2303 BGB. Tritt die Nacherbfolge, was in der Praxis den Regelfall darstellt, mit dem Tod des Vorerben ein, kommt es dadurch zu zwei Erbfällen: das Eigenvermögen des Vorerben fällt an dessen Erben, während der Erblasser hinsichtlich des der Vorerbschaft unterliegenden Vermögens vom Nacherben beerbt wird.
Rz. 75
Mit dem Institut der Vor- und Nacherbschaft ist es möglich, den Vermögensfluss über mehrere Generationen zu steuern. Typischerweise werden damit insb. folgende Zwecke verfolgt:
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Der Erblasser möchte sein Vermögen in seiner Familie behalten und eine Weitergabe an familienfremde Dritte verhindern; so wird zum einen die Vor- und Nacherbschaft bspw. bei Geschiedenentestamenten und Ehegattentestamenten von "Patchworkfamilien" (siehe Rdn 191 ff.) eingesetzt und zum anderen verhindert, dass der geschiedene Ehegatte oder nichteheliche Kinder des zum Vorerben eingesetzten Ehegatten am Nachlass partizipieren. |
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Dem zum Vorerben Berufenen soll unter Versorgungsgesichtspunkten lediglich die Nutzung des Nachlasses zukommen, während der Nacherbe die Nachlasssubstanz erhalten soll. |
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Der an sich vorgesehene Erbe soll den Nachlass erst erhalten, wenn ein bestimmtes Ereignis (Heirat, Ausbildungsende etc.) eingetreten ist, oder er ein bestimmtes Alter erreicht hat. |
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Mit Hilfe der Vollstreckungssperre des § 2115 BGB soll verhindert werden, dass Eigengläubiger des überschuldeten Vorerben auf den Nachlass zugreifen. |
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Der Erblasser möchte ein bestimmtes Verhalten des Erben sanktionieren oder belohnen (z.B. ein Kind soll erst dann in den Genuss des Erbes kommen, wenn es eine bestimmte Prüfung bestanden hat). |
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Bei einem Behinderten, der Unterstützung vom Staat bezieht, soll verhindert werden, dass der Staat bei Ableben eines Elternteils auf das Erbe des Behinderten zugreifen und regressieren kann (siehe hierzu Rdn 204 ff.). |
Rz. 76
Es können grundsätzlich einer oder mehrere Vorerben eingesetzt werden. Durch die Einsetzung mehrerer Vorerben entsteht eine Vorerbengemeinschaft. Diese kann sich als Miterbengemeinschaft jederzeit gem. § 2042 BGB auseinandersetzen. Die Mitwirkung des Nacherben ist nur dann nötig, wenn zur Auseinandersetzung Verfügungen notwendig sind, die unter die §§ 2113 Abs. 1, 2114 BGB fallen. Der Nacherbe ist grundsätzlich zur Zustimmung hinsichtlich der Auseinandersetzung der Vorerbengemeinschaft verpflichtet.
Rz. 77
Der Erblasser kann den Eintritt des Nacherbfalls grundsätzlich frei diktieren. Trifft er keine Bestimmung, so tritt der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben ein (§ 2106 Abs. 1 BGB). Der Erblasser kann den Eintritt der Nacherbfolge von einer Bedingung abhängig machen oder aber an einen bestimmten Zeitpunkt knüpfen.
Rz. 78
Mit dem Ableben des Erblassers nimmt der Vorerbe automatisch die Rechtsposition des Erblassers ein und der Nacherbe erwirbt ein erbrechtliches Anwartschaftsrecht. Dieses ist grundsätzlich übertragbar und vererblich. Zu Problemen und unerwünschten Ergebnissen kann es kommen, wenn der Nacherbe nach dem Tod des Erblassers verstirbt, aber vor dem Eintritt des Nacherbfalls. Nach § 2108 Abs. 2 S. 1 BGB geht das Recht des Nacherben wiederum auf dessen Erben über. Dies kann dazu führen, dass Personen an dem Nachlass partizipieren, die der Erblasser niemals als seine Rechtsnachfolger akzeptiert hätte. Um dies zu verhindern, muss der Erblasser die Vererblichkeit des Nacherbenanwartschaftsrechts möglicherweise ausschließen. Hierzu bedarf es einer ausdrücklichen Regelung in der letztwilligen Verfügung.
Rz. 79
Häufig ist eine klare Abgrenzung zwischen Voll- und Vorerbschaft der letztwilligen Verfügung nicht zu entnehmen. Hier ist durch den Berater eine exakte testamentarische Formulierung zu wählen.
Muster 7.2: Vor- und Nacherbfolge
Muster 7.2: Vor- und Nacherbfolge
Ich setze zu meinen alleinigen Erben je hälftig meine beiden Kinder _________________________, geb. am _________________________, und _________________________, geb. am _________________________, ein.
Die von mir benannten Erben sind jedoch nur Vorerben. Sie sind von allen gesetzlichen Beschränkungen, soweit dies möglich und rechtlich zulässig ist, befreit. Ein Ersatzvorerbe wird nicht benannt, es gilt die Vorschrift des § 2102 Abs. 1 BGB.
Nacherben sind die Abkömmlinge meiner Kinder en...