Frank-Michael Goebel, Dr. Jochen Schatz
Rz. 109
§ 850c ZPO geht von dem Fall aus, dass der Schuldner ein Arbeitseinkommen hat. Allerdings geht der Trend eindeutig zum Zweitjob, wobei es sich hierbei vielfach um eine geringfügige Beschäftigung handelt. Ist der Schuldner allerdings für mehrere Arbeitgeber tätig und bekommt von diesen jeweils Arbeitslohn, dann ergibt sich aus dem einzelnen Arbeitslohn häufig kein oder nur ein geringer pfändbarer Betrag, denn Grundlage für die Berechnung dieses pfändbaren Betrags ist zunächst nur das von dem jeweiligen Drittschuldner ausgezahlte Arbeitseinkommen.
Rz. 110
Werden bei mehreren Arbeitgebern die Arbeitseinkommen eines Schuldners gepfändet, dann muss jeder dieser Drittschuldner die Vorschrift des § 850c ZPO (und auch die übrigen Pfändungsschutzbestimmungen) beachten mit der Folge, dass der Schuldner den pfändungsfreien Betrag mehrfach erhält. Dadurch würde dem Gläubiger mehr entzogen als notwendig und verbliebe dem Schuldner mehr als zur Existenzsicherung erforderlich. § 850e Nr. 2 ZPO bestimmt deshalb, dass auf einen Antrag des Gläubigers oder des Schuldners die Zusammenrechnung der mehreren Arbeitseinkommen vom Vollstreckungsgericht angeordnet werden kann, wobei in der Praxis davon auszugehen ist, dass ein Schuldner keinen solchen Antrag stellen wird. Die Anordnung einer Zusammenrechnung der Einkommen kann schon im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfolgen, aber auch später in einem gesonderten Beschluss nachgeholt werden, wenn z.B. der Gläubiger von dem weiteren Arbeitgeber des Schuldners erst später erfahren hat.
Bei der Abtretung mehrerer Arbeitseinkommen entscheidet über eine Zusammenrechnung nach § 850e Nr. 2 ZPO das Prozessgericht und nicht das Vollstreckungsgericht. Nach einer Entscheidung des BGH findet auf die Abtretung von Forderungen, die unter die §§ 850 ff. ZPO fallen, auch § 850e Nr. 2 ZPO entsprechende Anwendung. Im Insolvenzverfahren ist für einen Antrag nach § 850e ZPO gemäß § 36 Abs. 4 InsO das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht zuständig und im eröffneten Insolvenzverfahren der Insolvenzverwalter zur Antragstellung befugt. Hat der Drittschuldner nach § 850e Nr. 3 ZPO Geld- und Naturalleistungen zusammengerechnet, ist für die Klage des Schuldners nicht das Insolvenz-, sondern das Prozessgericht zuständig.
Rz. 111
Das Vollstreckungsgericht entscheidet nur auf Antrag. Der Antrag ist an keine Frist gebunden. Lohnzahlungen, die vor der Zusammenrechnung erfolgt sind, werden von der Anordnung nicht erfasst. Eine Zusammenrechnung erfolgt nur aus laufenden Bezügen, Einmalzahlungen kommen wegen ihrer strukturellen Verschiedenheit nicht in Betracht.
Die gesetzlichen Erfordernisse hat der Antragsteller nachzuweisen und die einzelnen zusammenzurechnenden Arbeitseinkommen zu bezeichnen. Wird der Antrag zusammen mit demjenigen auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gestellt, findet eine Anhörung des Schuldners nicht statt (§ 834 ZPO). Bei einem nach Wirksamkeit der Pfändung gestellten Antrag ist der Schuldner zu hören.
Rz. 112
Die Zusammenrechnung wird durch Beschluss des Vollstreckungsgerichts angeordnet. Dieser hat das Einkommen zu bezeichnen, dem der unpfändbare Grundfreibetrag (§ 850c Abs. 1 ZPO) oder, im Falle einer Pfändung nach § 850d ZPO, der festgesetzte Freibetrag für den Schuldner und die ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten zu entnehmen sind. Dem Arbeitseinkommen, das die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet, soll in erster Linie der unpfändbare Grundfreibetrag (§ 850c Abs. 1 ZPO) entnommen werden (§ 850e Nr. 2 S. 2 ZPO).
Rz. 113
Die Zusammenrechnung hat zur Folge, dass sich das nach § 850c ZPO unpfändbare Arbeitseinkommen nach der Summe der mehreren Arbeitseinkommen, dem Gesamteinkommen (als Nettoeinkommen i.S.v. § 850e Nr. 1 ZPO), bestimmt. Es ist Sache der Drittschuldner, die Höhe des Gesamteinkommens festzustellen und den dem Schuldner verbleibenden pfandfreien Betrag zu berechnen. Hierfür müssen sich die Drittschuldner untereinander in Verbindung setzen. Bereits an den Schuldner ausgezahltes Einkommen erfasst die Zusammenrechnung nicht. Die Zusammenrechnung bewirkt – selbstständig – nicht die Pfändung von Arbeitseinkommen.
Rz. 114
Zu unterscheiden ist stets zwischen dem nach § 850c Abs. 1 i.V.m. § 850c Abs. 4 ZPO unpfändbaren Grundbetrag und dem nach § 850c Abs. 3 ZPO unpfändbaren Teil des Mehrbetrages. Der unpfändbare Grundbetrag ist in erster Linie dem Einkommen zu entnehmen, das die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet: dem Haupteinkommen. Das muss nicht stets das höhere Einkommen sein. Deckt das Haupteinkommen den Grundbetrag nicht, so ist der Rest aus dem anderen, dem Nebeneinkommen zu entnehmen.
Rz. 115
Beispiel
Der kinderlose verheiratete Schuldner verdient bei A1 2.400,00 EUR netto und bei A2 538,00 EUR monatlich, was zu einem Gesamteinkommen von 2.938,00 EUR führt. Unter Berücksichtigung der Ehefrau ergibt sich ein pfändbarer Betrag aus dem Gesamteinkommen ...