Dr. iur. Pierre Plottek, Malte Masloff
A. Ausschlagung
I. Allgemeines
Rz. 1
Die Erbschaft geht von Gesetzes wegen nach dem sog. Von-Selbst-Erwerb und dem Prinzip der Universalsukzession auf den Erben über (§ 1922 BGB). Dem Erben bleibt eine Reaktionsmöglichkeit: die Ausschlagung. Einen besonderen Grund benötigt der Erbe für die Ausschlagung nicht. Die zentralen Normen der Ausschlagung finden sich in §§ 1942 ff. BGB. In § 1943 BGB ist ausdrücklich auch die Annahme der Erbschaft angesprochen. Auch wenn es der Annahme der Erbschaft nicht zwingend bedürfte, so hat diese doch Auswirkungen auf die Struktur der Vermögenszuordnung der Erbschaft in Bezug auf das Vermögen des Erben. Durch den Von-Selbst-Erwerb wird der Erbe zunächst nur vorläufiger Rechtsnachfolger des Erblassers. Der Nachlass ist noch Sondervermögen des vorläufigen Erben, was insbesondere Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung hat. Mit der Annahme der Erbschaft erstarkt der Erbe jedoch zum endgültigen Erben und der Nachlass wird zu Eigenvermögen des Erben.
1. Annahme der Erbschaft
Rz. 2
Die Annahmeerklärung ist nicht formbedürftig und kann deswegen ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden. Mit Ablauf der Ausschlagungsfrist gilt die Erbschaft als angenommen (§ 1943 Hs. 2 BGB). Voraussetzung einer stillschweigenden Annahmeerklärung ist, dass nach allg. Auslegungsgrundsätzen auf das Vorliegen eines Annahmewillens bei dem Erben geschlossen werden kann. Das kann schon in der Geltendmachung des Herausgabeanspruches nach § 2018 BGB liegen.
Praxishinweis
Vorsicht ist geboten, wenn das Vorliegen einer Annahmeerklärung zweifelhaft ist – nach § 1943 Hs. 1 BGB ist eine Ausschlagung ausgeschlossen, wenn bereits eine Annahme vorliegt. Der Rechtsanwalt sollte in diesen Fällen auch die hilfsweise Anfechtung der Annahme erklären.
2. Motive der Ausschlagung
Rz. 3
Die Motive der Ausschlagung sind vielfältig. In der Praxis ist darauf zu achten, ob wirklich die Ausschlagung das geeignete Mittel ist, diese Motive umzusetzen. In erster Linie wird die Ausschlagung bei einem überschuldeten Nachlass erklärt werden, damit der Erbe die Verbindlichkeiten des Erblassers nicht erfüllen muss. Hier sollten die Alternativen der Nachlassverwaltung (§ 1975 BGB), Nachlassinsolvenz (§§ 1975, 1980 BGB, §§ 315 ff. InsO) und Dürftigkeitseinrede (§ 1990 BGB, § 780 ZPO) geprüft werden. In zweiter Linie kommen persönliche Motive in Betracht. So kommt es vor, dass der Erbe schlicht mit dem Nachlass des Erblassers nichts zu tun haben möchte oder aber durch die Ausschlagung anderen den Erbteil zukommen lassen möchte (Nachlasslenkung). Ferner könnte auch das Motiv, den Nachlass nicht dem Zugriff des Sozialhilfeträgers auszusetzen, ein Grund für die Ausschlagung sein.
Praxishinweis
Das gesetzliche Erbrecht nach §§ 1922 ff. BGB bedarf bei der Nachlasslenkung der sorgfältigen Prüfung. Zu prüfen sind insbes. §§ 2069, 2094, 2096 und 2102 BGB. Irrt sich der Ausschlagende über die im Wege der gesetzlichen Erbfolge berufene Person, so kann er die Ausschlagung nach h.M. nicht wegen Irrtums anfechten (siehe auch Rdn 26).
Rz. 4
Schließlich sind erbschaftsteuerliche Motive zu nennen. Durch die Ausschlagung kann z.B. die Ausnutzung erbschaftsteuerlicher Freibeträge nach § 16 ErbStG optimiert werden.
II. Zeitpunkt der Ausschlagung
Rz. 5
Die Ausschlagung ist fristgebunden und kann nur binnen sechs Wochen erklärt werden (§ 1944 BGB). Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kann sich die Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 3 BGB auf sechs Monate verlängern. Für die Rechtzeitigkeit der Ausschlagungserklärung ist auf den Zugang bei der empfangsbedürftigen Stelle – i.d.R. dem Nachlassgericht – abzustellen. Problematisch ist die Bestimmung des Zeitpunktes, in dem die Ausschlagungsfrist zu laufen beginnt. Hierzu muss der Erbe zuverlässige Kenntnis über den Tod des Erblassers, seine Erbenstellung sowie den Berufungsgrund (gesetzliche Erbfolge oder letztwillige Verfügungen) besitzen. Nicht erforderlich ist die Kenntnis des genauen Umfanges des Erbteils. Fahrlässige Unkenntnis der relevanten Umstände sowie Unfähigkeit zur Kenntnisnahme infolge körperlicher oder geistiger Behinderungen setzen den Fristenlauf nicht in Gang.
Praxishinweis
Grundsätzlich ist die Darlegung eines Erben, vor einem bestimmten Zeitpunkt keine Kenntnis vom Erbfall gehabt zu haben, für die Annahme des Beginns der Ausschlagungsfrist ausreichend. Hat das Nachlassgericht abweichende Erkenntnisse, hat es diesbezüglich Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Rz. 6
Im Falle der Verkündung des Testaments oder Erbvertrags beginnt die Ausschlagungsfrist mit der Verkündung (§ 1944 Abs. 2 BGB). Erforderlich ist nach der h.M. insoweit, dass der Erbe zumindest Kenntnis von dem "ob" der Verkündung/Eröffnung...