Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 72
§ 2336 Abs. 2 S. 2 BGB bestimmt, dass für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB wegen einer vom Pflichtteilsberechtigten begangenen Straftat diese zur Zeit der Errichtung begangen und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen muss; beides ist in der Verfügung anzugeben. Dadurch wird zum einen klargestellt, dass zwar die Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entziehung gestützt wird, rechtskräftig sein muss. Zum anderen aber wird deutlich gemacht, dass es unerheblich ist, wenn die Rechtskraft erst lange Zeit nach der Tatbegehung, u.U. sogar erst nach dem Erbfall, eintritt. Denn gerade bei schwierigen und lang dauernden Strafverfahren, die sich durch mehrere Instanzen ziehen, kann dies der Fall sein. Denn bei der erforderlichen Rechtskraft der Verurteilung handelt es sich um ein zwar einfach nachprüfbares Kriterium, das die Pflichtteilsentziehung erleichtern, nicht jedoch erschweren oder gar unmöglich machen soll. Dies wäre aber der Fall, wenn die Rechtskraft bereits im Erbfall eingetreten sein müsste. Vielmehr ist und bleibt der eigentliche Grund für die Entziehung des Pflichtteils und die Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe die durch den Pflichtteilsberechtigten begangene Tat. Daher kann der Erblasser schon gleich nach der Begehung der Tat den Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteil entziehen und muss nicht die strafrechtliche Verurteilung abwarten.
Rz. 73
Zum anderen will das Erfordernis der Rechtskraft der Verurteilung zwar die Beweisbarkeit der die Entziehung begründeten Straftat erleichtern. Die Rechtskraft der Entscheidung wird aber für die Motivation des Erblassers, die Pflichtteilsentziehung zu verfügen, meist keine wesentliche Rolle spielen. Daher sind die Angabe der begangenen Tat und die Darlegung der Gründe für die Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe in der Verfügung von Todes wegen ausreichend.
Rz. 74
Dennoch sind damit nicht unerhebliche zusätzliche Anforderungen für den Erblasser verbunden, die zu einer wesentlichen Verschärfung des Begründungszwangs führen. Denn vormals war es nicht erforderlich, derartige subjektive Merkmale, auf denen die Pflichtteilsentziehung beruhte, in der Verfügung von Todes wegen darzulegen. Der Gesetzgeber war aber der Auffassung, dass dies für den Erblasser keine unzumutbare Erschwernis darstelle. Denn welche Anforderungen an die Darlegung der Gründe der Unzumutbarkeit zu stellen sind, richte sich nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei wird nach Auffassung des Gesetzgebers regelmäßig die Schwere der Tat eine Rolle spielen: Je schwerwiegender die Tat, desto eher werde sich die Unzumutbarkeit bereits aus ihrer Begehung ergeben und desto geringer würden die Anforderungen an die Darlegung der Gründe der Unzumutbarkeit sein. Als Beispiel wurde genannt, dass der Pflichtteilsberechtigte wegen Mordes an einem Kind zu lebenslanger Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt ist. Dann liege die Vermutung der Unzumutbarkeit der Nachlassteilhabe für den Erblasser nahe. Hier werde es dann regelmäßig ausreichen, wenn der Erblasser in der Verfügung von Todes wegen den Pflichtteil entzieht und dies mit der Begehung der Straftat begründet. Andererseits wurde daraus auch die Schlussfolgerung gezogen, dass bei leichteren Straftaten der Erblasser sehr dezidiert ausführen muss, dass für ihn die Unzumutbarkeit der Teilhabe am Nachlass besteht.
Rz. 75
Damit die Darlegungsanforderungen nicht zu hoch werden, sollten die Gerichte diese Vorstellung des Gesetzgebers bei der praktischen Rechtsanwendung berücksichtigen. Die Anforderungen an die Darlegung dürfen nicht überspannt werden. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen m.E. an die formale Seite keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, soll das Pflichtteilsentziehungsrecht nicht faktisch leerlaufen. Denn die besonderen Darlegungsanforderungen sind auch hier kein Selbstzweck, sondern sollen nur die Beweisbarkeit der Entscheidung des Erblassers ermöglichen und ihn zum verantwortlichen Testieren auch in dieser Hinsicht anhalten. Die formalen Anforderungen müssen vielmehr immer in ihrer Wechselwirkung zu den materiellen Gründen für die Pflichtteilsentziehung gesehen werden: Je mehr für den Erblasser aufgrund der Verfehlung des Pflichtteilsberechtigten eine Nachlassteilhabe unzumutbar erscheint und daher dessen Grundrechtsposition umso weniger ins Gewicht fällt, desto geringer müssen auch die an die Erklärung der Pflichtteilsentziehung zu stellenden Anforderungen sein.
Rz. 76
Auf alle Fälle kann vom Erblasser nicht verlangt werden, rechtliche Abwägungen zum Fehlverhalten und zu den persönlichen Wertvorstellungen abzugeben, denn dies bleibt nach wie vor Aufgabe des entscheidenden Richters. Nicht geklärt und von der amtlichen Begründung auch nicht angesprochen ist, ob auch in diesem Kontext die Andeutungstheorie gilt. M.E. muss auch sie hier anwendbar sein, was im Einzelfall dazu führt, dass, wenn nur der notwendige...