§ 8 Einwendungen gegen den Pflichtteil / b) Angabe des Entziehungsgrundes

Rz. 69

Der Entziehungsgrund muss in der Verfügung von Todes wegen angegeben sein (§ 2336 Abs. 2 S. 1 BGB), also formgerecht. Dabei bestimmt das Gesetz nicht näher, in welcher Art und Weise dies erfolgen soll. Näheres ergibt sich jedoch aus dem Zweck der Bestimmung. Nach Ansicht des BGH besteht dieser darin, die spätere Beweisbarkeit der tatsächlichen Motivation des Erblassers für die Entziehungsentscheidung zu sichern, aber auch, den Erblasser wegen der weit reichenden Folgen der Entziehung zu einem "verantwortlichen Testieren" anzuhalten.^[201] Die Angabe muss also so konkret sein, dass später durch eine gerichtliche Prüfung zweifelsfrei geklärt werden kann, auf welchen Entziehungsgrund sich die Entziehung stützte und welcher Lebenssachverhalt dem zugrunde lag.^[202] Jedoch sind dabei der Entziehungsgrund und dessen Beweisbarkeit auseinanderzuhalten.^[203] Dies erfordert die Angabe eines zutreffenden Kernsachverhalts im Testament.^[204] Dazu muss sich der Erblasser mit seinen Worten auf bestimmte konkrete Vorgänge unverwechselbar festlegen und den Kreis der in Betracht kommenden Vorfälle praktisch brauchbar eingrenzen; die Begründung muss aber nicht in die Einzelheiten gehen.^[205] Nicht notwendig ist auch die Verwendung des Gesetzestextes.^[206] Die Anforderungen sollen jedoch verhindern, dass später in einem Pflichtteilsentziehungsprozess die Erben noch "Gründe nachschieben", die für die Entscheidung des Erblassers nicht motivierend waren.^[207]

Rz. 70

Die erforderliche Konkretisierung ist abhängig von der Art des Pflichtteilsentziehungsgrundes. So muss bei § 2333 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB auch angegeben werden, gegen wen sich die Verfehlung richtet; die Angabe eines abstrakten Straftatbestandes kann bei schweren Verfehlungen u.U. ausreichen, wenn dadurch der fragliche Sachverhalt hinreichend konkretisiert wird ("wegen Mordversuchs an mir").^[208] Überhaupt wird eine "stichwortartige" Bezeichnung genügen.^[209] Entscheidend dafür, ob diese Kriterien eingehalten sind, muss die Beurteilung durch einen unbefangenen Dritten sein. Ungenügend ist daher eine Begründung, die nur dem Pflichtteilsberechtigten oder bestimmten Personen verständlich ist.^[210] Die Wiedergabe des abstrakten Gesetzesinhalts ist ebenfalls nicht ausreichend.^[211] Bei mehreren Pflichtteilsentziehungsgründen kann sich der Erblasser mit der Angabe eines Grundes zufriedengeben, trägt aber dann das Risiko, dass sich dieser später als nicht ausreichend herausstellt.^[212] Umgekehrt ist das Hinzufügen von (später nicht beweisbaren) Einzelumständen dann unschädlich, wenn sie für den Entziehungswillen des Erblassers ohne Bedeutung sind.^[213]

Rz. 71

Die Angabe des Entziehungsgrundes hat "in" der letztwilligen Verfügung zu erfolgen. Wegen des Formzwecks sind an die Einhaltung der Testamentsform hier keine geringeren Anforderungen zu stellen, als auch sonst im Erbrecht gelten.^[214] Nicht ausreichend ist daher, wenn der Pflichtteilsentziehungsgrund erst nach der Unterschrift des eigenhändigen Testaments genannt wird und von dieser nicht gedeckt ist^[215] oder wenn im Testament die abstrakten Tatbestände nur angedeutet sind ("Beleidigung, üble Nachrede in den Jahren …"), wegen der Einzelheiten aber auf Aktennotizen, die der Testamentsform nicht entsprechen, Bezug genommen wird.^[216] Dabei wird vom BGH zu Recht die Manipulationsgefahr betont. Auch reicht es nicht aus, wenn der Erblasser pauschal auf ein Geständnis verweist, welches der Pflichtteilsberechtigte gegenüber einem Dritten abgegeben haben soll; denn der konkrete Sachverhalt entspricht nicht der Testamentsform und kann nur durch Beweisaufnahme geklärt werden.^[217]

[201] BGHZ 94, 36, 43 = NJW 1985, 1554 m. Anm. Kuchinke, JZ 1985, 748 und Anm. Schubert, JR 1986, 26; dazu auch Burandt/Rojahn/Horn, § 2336 Rn 7.

[202] Ähnlich Staudinger/Olshausen, § 2336 Rn 11.

[203] RGZ 95, 24, 26; Staudinger/Olshausen, § 2336 Rn 15.

[204] BGH § 2336 LM Nr. 1 = NJW 1964, 549; BGH v. 11.2.1965 – III ZR 24/64; vgl. Kessler, DRiZ 1966, 395, 400; BGHZ 94, 36, 40 = NJW 1985, 1554; OLG Köln ZEV 1998, 144; OLG Frankfurt/M. OLGReport 1992, 206; OLG Nürnberg NJW 1976, 2020, vgl. auch BGH NJW-RR 1996, 705.

[205] BGHZ 94, 36, 40; OLG Köln ZEV 1998, 144; OLG Köln ZEV 1996, 430, 431.

[206] Gottwald, § 2336 Rn 6.

[207] BGHZ 94, 36, 40 = NJW 1985, 1554; MüKo-BGB/Lange, § 2336 Rn 8.

[208] Burandt/Rojahn/Horn, § 2336 Rn 9.

[209] Staudinger/Olshausen, § 2336 Rn 12; Gottwald, § 2336 Rn 6; a.A. offenbar OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 520 = ZEV 1995, 410.

[210] Gottwald, § 2336 Rn 7.

[211] OLG Köln ZEV 1998, 144; OLG Nürnberg NJW 1976, 2020. Anders aber RGZ 95, 24, 25 f. und RGZ 168, 38, 43 zur Entziehung nach § 2333 Nr. 5 BGB a.F.; BGHZ 94, 36, 40 lässt ausdrücklich offen, ob dies nach heutigem Verständnis ausreicht.

[212] Lange/Kuchinke, Erbrecht, § 37 XIII 3.

[213] BGH NJW 1964, 549.

[214] BGHZ 94, 36, 40, 43.

[215] RG Recht 1914 Nr. 1292.

[216] BGHZ 94, 36, 42 f. Für ausreichend halten dies Soergel/Dieckmann, 13. Auflage 2002, § 2336 Rn 7 und Schubert, JR 1986, 26 s...