Rz. 252
Führt eine solche Beweiswürdigung noch nicht zum Ergebnis, so ist ein Sachverständigengutachten zur Frage der Testierfähigkeit einzuholen. Im Rahmen der Beweisaufnahme wird sich i.d.R. die Frage stellen, inwieweit Aussagen des behandelnden Arztes (häufig des Hausarztes) herangezogen werden müssen.
Rz. 253
Dabei kommt der Arzt als sachverständiger Zeuge gem. § 414 ZPO in Betracht. Es stellt sich die Frage, wie das dem Arzt nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zustehende Zeugnisverweigerungsrecht zu handhaben ist. Umstände, die die Testierfähigkeit betreffen, gehören zur ärztlichen Schweigepflicht und sind dem Arzt auch "anvertraut" i.S.d. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Das bedeutet, dass der Arzt von seiner Schweigepflicht zu entbinden ist, § 385 Abs. 2 ZPO. Da die ärztliche Schweigepflicht nicht mit dem Tod des Patienten endet, § 203 Abs. 5 StGB, hätte der Arzt vom Erblasser persönlich von der Schweigepflicht entbunden werden müssen, denn die Befreiungsbefugnis geht nicht auf die Erben über, weil die Testierfähigkeit eine höchstpersönliche Angelegenheit darstellt, die nicht der Rechtsfolge des § 1922 BGB unterliegt. Deshalb kommt es darauf an, ob der Erblasser zu Lebzeiten gegenüber dem Arzt oder gegenüber Dritten eine ausdrückliche oder konkludente Befreiung von der Schweigepflicht vorgenommen hat. Ist dies nicht der Fall, so kommt es auf den mutmaßlichen Willen des Erblassers (= Patienten) an, ob er eine Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht gebilligt oder missbilligt haben würde. Die h.M. nimmt an, der Erblasser habe ein Interesse an der Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Verfügung von Todes wegen. Deshalb kann der Arzt als von der Schweigepflicht entbunden angesehen werden.
Rz. 254
Bei Zweifeln über das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts kann darüber gem. § 387 ZPO durch Zwischenurteil entschieden werden; das Zwischenurteil kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, § 387 Abs. 3 ZPO. Das Gleiche gilt für das Erbscheinsverfahren gem. § 30 FamFG i.V.m. § 387 ZPO. Dort wäre es allerdings ein Zwischenbeschluss.
Dieselben Regeln gelten, wenn dem Arzt gem. § 142 ZPO aufgegeben wird, seine Patientenkartei vorzulegen, weil dort auf den Zeugenbeweis verwiesen wird, vgl. § 142 Abs. 2 S. 2 ZPO.
Rz. 255
Das Sachverständigengutachten setzt grundsätzlich voraus, dass der zu begutachtende Sachverhalt – die sog. Anknüpfungs- oder Anschlusstatsachen – vom Gericht selbst ermittelt wird, § 404a Abs. 3 ZPO. Das Gericht hat die Anknüpfungstatsachen selbst festzustellen und dem Sachverständigen als Grundlage seiner gutachterlichen Äußerung vorzugeben.
Rz. 256
Einsichtsrecht in Behandlungsakten des Arztes:
Nach § 630g Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 BGB kann im Falle des Todes des Patienten der Erbe Einsicht in die Behandlungsakten des Arztes zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen und die nächsten Angehörigen hinsichtlich immaterieller Interessen nehmen. Nach § 630g Abs. 3 S. 3 BGB sind die Rechte allerdings ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht.
Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dem Arzt bei der Prüfung des Patientenwillens ein Ermessen zusteht, das nur begrenzt gerichtlich überprüfbar ist. Demnach ist der in Anspruch genommene Arzt gewissermaßen selbst die letzte Instanz. Allerdings muss der Arzt darlegen, dass und unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht.
Angehörige haben im Grundsatz kein Recht, aufgrund einer Vorsorgevollmacht Einsicht in Behandlungsunterlagen eines Verstorbenen zu nehmen, gegen dessen ausdrücklich erklärten oder mutmaßlichen Willen. Schließlich führt eine Vollmacht nicht zu einer Verdoppelung der Entscheidungsträger. Vielmehr geht der eigene Wille eines Geschäftsfähigen bei widersprechenden Erklärungen vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BGH zum digitalen Nachlass. Dort war die Frage zu entscheiden, ob die Rechte aus einem Nutzungsvertrag für ein soziales Netzwerk in den Nachlass fallen. Dies wurde bejaht und dabei ausdrücklich ausgeführt, dass die Pflichten nicht persönlichkeitsrelevant seien, da lediglich technische Leistungen geschuldet würden, die – anders als bei einem Behandlungsvertrag mit einem Arzt – unverändert gegenüber den Erben erbracht werden könnten. Im Übrigen hielt der BGH einen entgegenstehenden Willen des Erblassers durchaus für bedeutsam.