Rz. 97
Die Art. 66 bis 70 CISG regeln den Gefahrübergang. Dessen besondere Bedeutung ergibt sich daraus, dass der Käufer in vollem Umfang zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet bleibt, wenn die Ware nach Gefahrübergang aufgrund zufälliger Ereignisse verloren geht oder beschädigt wird (Preisgefahr). Daraus ergibt sich Folgendes:
Bis zum Gefahrübergang trägt der Verkäufer das Risiko für die Ware, ab dem Zeitpunkt des Gefahrübergangs geht die Verantwortung auf den Käufer über. Typische Gefahren sind die Verschlechterung, die Beschädigung sowie der Untergang der Kaufsache. Dem gleichzustellen ist auch der Verlust aufgrund eines Diebstahls.
Rz. 98
Wann die Gefahr übergeht, bestimmt sich an erster Stelle anhand der zwischen dem Verkäufer und dem Käufer getroffenen Absprachen, der zwischen den Parteien praktizierten Gepflogenheiten bzw. der nach Art. 9 CISG anzuerkennenden Gebräuche. Daneben enthalten die INCOTERMS typische Gefahrtragungsregeln, nach denen die Gefahr grds. mit der Lieferung an den jeweiligen Lieferort übergeht (vgl. oben Rdn 83).
Rz. 99
Wird der Gefahrübergang nicht vereinbart und ergibt er sich auch nicht aus den Umständen des Geschäfts, so greifen die Art. 66 ff. CISG ein. Das UN-Kaufrecht entscheidet für den Gefahrübergang vier verschiedene Konstellationen, von denen drei an den Lieferort anknüpfen:
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Gem. Art. 67 CISG geht bei einem Versendungskauf (vgl. dazu oben Rdn 86 ff.) die Gefahr auf den Käufer über, sobald die Ware gem. dem Kaufvertrag dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer übergeben wird, etwa durch die Übergabe an das den Transport durchführende Unternehmen. Insoweit maßgeblich ist hier also der Lieferort, auf die diesbezüglichen Ausführungen ist zu verweisen. Rechtsfolge des Art. 67 CISG ist, dass mit Übergabe der Ware unsachgemäße Verhaltensweisen des Transportunternehmens nicht mehr in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fallen, sondern Bestandteil der auf den Käufer übergegangenen Gefahr sind. Allerdings wird in der Praxis dieses Risiko üblicherweise durch den Abschluss einer Transportversicherung abgedeckt. |
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Art. 68 CISG knüpft nicht an den Lieferort an. Die Vorschrift erfasst Geschäfte, bei denen sich die verkaufte Ware zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf dem Transport befindet. Erfasst wäre bspw. der Verkauf von Weizen, der zur Zeit des Vertragsabschlusses per Schiff von den USA nach Europa unterwegs ist. Nach Art. 68 Satz 1 CISG geht die Gefahr grds. im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf den Verkäufer über, die Vorschrift bewirkt also eine Vorverlagerung des Gefahrübergangs. Gem. Satz 2 geht die Gefahr erst bei Übergabe der Ware an den Beförderer über, falls sich dies aus bestimmten Umständen ergibt. Derartige Umstände können bspw. der Abschluss einer geschäftsüblichen den Käufer begünstigenden Transportversicherung für die Ware sein. |
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Art. 69 Abs. 1 CISG enthält die Regelung der Gefahrtragung für die Konstellationen, die nicht unter Art. 67 oder Art. 68 CISG fallen, also für Fälle, die weder ein Versendungskauf noch ein Geschäft über die zur Zeit des Abschlusses auf dem Transport befindliche Ware sind. Die Vorschrift gilt für Fälle, in denen der Lieferort die Niederlassung des Verkäufers ist. Die Gefahr geht gem. Art. 69 Abs. 1 CISG entweder mit tatsächlicher Übernahme der Ware durch den Käufer oder aber zu dem Zeitpunkt über, zu dem die Übernahme durch den Käufer hätte erfolgen müssen. Der zweiten Alternative liegt der Gedanke zugrunde, dass der Käufer nicht die Möglichkeit haben soll, durch eine Verletzung seiner Abnahmeverpflichtung den Verkäufer länger mit dem Gefahrtragungsrisiko zu belasten. |
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Art. 69 Abs. 2 CISG ist auf Fälle anwendbar, bei denen der Käufer die Ware an einem anderen Ort als einer Niederlassung des Verkäufers zu übernehmen hat und erfasst demnach Fälle, die keine Holschuld darstellen. Dies sind konkret die Bringschuld (vgl. oben Rdn 93) und der Verkauf eingelagerter Ware. In diesen Fällen geht die Gefahr über, sobald der Verkäufer die Ware dem Käufer zur Verfügung gestellt und der Käufer Kenntnis von ihrer Verfügbarkeit hat. Auf die tatsächliche Übernahme durch den Käufer kommt es hierbei nicht an. |
Rz. 100
Neben diesen besonderen Voraussetzungen liegt allen Gefahrtragungstatbeständen zugrunde, dass eine eindeutige Zuordnung der Ware zu dem jeweiligen Kaufvertrag möglich ist (vgl. Art. 67 Abs. 2 und Art. 69 Abs. 3 CISG). Diese Zuordnung kann auch durch einen in den Frachtpapieren ausgewiesenen Hinweis herbeigeführt werden.
Rz. 101
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Verkäufer grds. die Voraussetzung des Gefahrübergangs zu beweisen hat. Beruft sich hingegen der Käufer ggü. dem Kaufpreisanspruch des Verkäufers auf einen nach Gefahrübergang erfolgten Untergang oder eine Beschädigung der Ware, so hat er zu beweisen, dass diese auf einem Verhalten des Verkäufers beruht.