Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 135
Eine unbillige Härte ist gegeben, wenn die Verwertung des Vermögens zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensgrundlage des Auszubildenden führen würde. Er soll – bereits nach dem Willen des Gesetzgebers – davor geschützt werden, durch die Verwertung eines selbstbewohnten kleinen Hausgrundstücks eine wesentliche Beeinträchtigung seiner Lebensgrundlage hinnehmen zu müssen und damit unter Verlust seiner Wohnstatt letztlich seine Ausbildung zu riskieren.
Rz. 136
Fallbeispiel 76: Die studierende Tochter
Die 20-jährige Studentin und Tochter T möchte für das kommende Studium Leistungen nach dem BAföG beantragen, da ihr die für ihren Lebensunterhalt und ihre Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig u.a. aufgrund des geringen Einkommens ihrer Eltern nicht zur Verfügung stehen. Ihr Bargeld und Girokontoguthaben betragen zusammen 2.500 EUR. Zudem hat sie Verbindlichkeiten in Höhe von 2.000 EUR bei ihrer Hausbank. Nun wollen ihre Eltern im Wege der vorweggenommenen Erbfolge die von der Tochter bereits bewohnte Eigentumswohnung (Marktwert: 125.000 EUR) auf ihre Tochter übertragen. Sie hat eine Wohnfläche von 80 qm, und neben dem Haus befindet sich zur Wohnung gehörend eine bodenbeheizte Doppelgarage mit einer Grundfläche von 35 qm (Wert: 15.000 EUR).
Rz. 137
In einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob die T bedürftig ist. Auf den Bedarf der T (angenommen: 650 EUR/Monat) ist nach § 27 Abs. 1 BAföG die Gesamtheit der Vermögenswerte anzurechnen. Ihr Vermögen würde im Schenkungsfall aus ihrem Bankkonto- und Bargeldguthaben (2.500 EUR) bestehen abzüglich ihrer Verbindlichkeiten bei der Hausbank (2.000 EUR) und abzüglich des Freibetrags (seit August 2020: 8.200 EUR). Insgesamt verfügt T insoweit nicht über verwertbares Vermögen nach §§ 27, 28 BAföG. Mit der selbstbewohnten Eigentumswohnung tritt ein Vermögenswert hinzu, der sie deutlich über das Schonvermögen von 8.200 EUR bringt.
Rz. 138
Die Tatsache, dass T die Immobilie selbst bewohnt, macht sie – anders als in § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII, keinesfalls zwingend zum Schonvermögen, das – unabhängig von den Umständen des Einzelfalls einer auszubildenden Person – ungeschmälert erhalten bleiben muss. Sie bleibt einsetzbares Vermögen. Gleiches gilt für die dazugehörige Garage. Es bleibt also nur noch die Prüfung, ob die Immobilie/Garage verwertungsfrei bleiben kann, weil ihre Verwertung für T eine unbillige Härte darstellt.
Rz. 139
Eine Härte liegt zusammengefasst nach Tz 29.3.2 Buchst. b) der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG dann vor,
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wenn die Vermögensverwertung zur Veräußerung oder Belastung eines i.S.d. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII angemessenen Hausgrundstücks, besonders eines Familienheims oder einer Eigentumswohnung, die selbstbewohnt sind oder im Gesamthandseigentum stehen, führen würde. Die Angemessenheit bestimmt sich dabei nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (z.B. behinderter oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes. Als angemessen kann eine Wohngröße angesehen werden, wenn bei einem Vier-Personen-Haushalt die Wohnfläche eines Einfamilienhauses 130 qm oder die einer Eigentumswohnung 120 qm nicht übersteigt. Für jede weitere Person wird die Bezugsgröße um 20 qm erhöht. Leben weniger als vier Personen in dem Haushalt, sind pro Person 20 qm abzuziehen. Unterhalb des Zwei-Personen-Haushalts findet kein weiterer Abzug statt. |
Rz. 140
Das Verwertungshindernis ist aber nicht auf das nur durch die auszubildende Person selbst bewohnte kleine Hausgrundstück beschränkt, sondern auch Familienangehörige, die dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, können in den Unbilligkeitstatbestand einbezogen werden:
Zitat
"Soweit sein Wohnungsbedarf betroffen ist, befindet sich in einer derartigen Lage nicht nur der Auszubildende, der als Alleineigentümer ein kleines Hausgrundstück oder eine (kleine) Eigentumswohnung selbst bewohnt. Gleichermaßen zu schonen kann auch das Bruchteils- oder Gesamthandseigentum des Auszubildenden an einem solchen Vermögensgegenstand sein. Ebenso wenig hindert es grundsätzlich die Annahme einer unbilligen Härte, wenn das Hausgrundstück mehr als eine Wohnung enthält, sofern nur der Bruchteils- oder Gesamthandseigentümer darin eine Wohnung selbst bewohnt. Der Anwendung des § 29 Abs. 3 BAföG steht nicht von vornherein entgegen, dass das zu schonende Vermögen in einem Anteil an einem Zwei- oder Mehrfamilienwohnhaus besteht. In diesem Fall muss die vom Auszubildenden bewohnte Wohnung nach Größe, Zuschnitt und Ausstattung sowohl seinem angemessenen Wohnbedarf als auch seinem Miteigentumsanteil entsprechen und der Verkehrswert des Miteigentumsanteils ein Absehen vom Einsatz des Vermögens rechtfertigen."
Rz. 141
Miterbenanteile an Wohnungsgrundstücken oder Wohnungen, die nicht die Kriterien des selbstbewohnten kleinen Hausgrundstücks erfüllen, fallen jedoch nicht unter den Hä...