Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
Rz. 127
Der "100 % Fall"
Der Anwendungsbereich der zweiten Stufe ist erreicht, wenn die Reparaturkosten weiterhin unter dem Wiederbeschaffungswert liegen, jedoch den Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts) übersteigen. Da zu überprüfen ist, welche Schadenskompensation günstiger ist, wenn sie tatsächlich durchgeführt wird, ist überzeugenderweise auf die Bruttowerte abzustellen, es sei denn, es besteht eine Vorsteuerabzugsberechtigung. Dieser Vergleich ermöglicht die zutreffende Einordnung der richtigen Stufe, welche die weiteren Voraussetzungen der Abrechnung des Fahrzeugschadens selbst dann bestimmt, wenn die Netto-Werte eine andere Abrechnung nahelegen.
Beispiel
Die Reparaturkosten betragen 11.900 EUR brutto = 10.000 EUR netto. Der Wiederbeschaffungswert bei dem regelbesteuerten neuwertigen Kfz liegt bei 23.800 EUR brutto = 20.000 EUR netto und der Restwert steuerneutral bei 11.000 EUR. Der Wiederbeschaffungsaufwand beträgt damit brutto 12.800 EUR, netto dagegen nur 9.000 EUR. Maßgeblich für die Einstufung innerhalb der vier Stufen ist bei Privatpersonen ohne Vorsteuerabzugsberechtigung die Betrachtung der Brutto-Werte. Danach handelt es sich um einen Fall der ersten Stufe als reiner Reparaturfall, da die Reparaturkosten brutto bei 11.900 EUR und damit unterhalb des Wiederbeschaffungsaufwandes von 12.800 EUR liegen. Es sind daher immer die Reparaturkosten zu erstatten, auch wenn bei der Betrachtung der Netto-Werte der Wiederbeschaffungsaufwand mit 9.000 EUR unter den Reparaturkosten netto von 10.000 EUR liegt. Mit anderen Worten: Bei einer konkreten Abrechnung sind die Reparaturkosten bis zur Obergrenze von 11.900 EUR zu erstatten, bei einer fiktiven Abrechnung die Reparaturkosten mit 10.000 EUR netto.
Rz. 128
Da der Geschädigte sich bei zwei gleichwertigen Möglichkeiten zur Schadenskompensation auf die günstigere verweisen lassen muss, kann er grundsätzlich nur auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwandes abrechnen, es sei denn, er weist ein schützenswertes Integritätsinteresse auf.
Rz. 129
Muster 8.35: Verweis auf den Wiederbeschaffungsaufwand im Prozess
Muster 8.35: Verweis auf den Wiederbeschaffungsaufwand im Prozess
Die von der Klägerseite verfolgten Reparaturkosten als Mehrbetrag über dem Wiederbeschaffungsaufwand stehen ihr – zumindest derzeit – im Rahmen der gewählten Abrechnung nicht zu. Vorliegend liegen die Reparaturkosten mit _________________________ EUR (brutto) unterhalb des Wiederbeschaffungswertes von _________________________ EUR (brutto). Sie sind jedoch größer als der lediglich _________________________ EUR betragende Wiederbeschaffungsaufwand unter Berücksichtigung des Restwerts von _________________________ EUR. Die nunmehr rein fiktiv verfolgten Reparaturkosten von _________________________ EUR (netto) sind nicht in voller Höhe zu erstatten. Als erforderlicher Aufwand zur Schadensbeseitigung bei zwei gleichwertigen Mitteln der Schadenskompensation kann vorliegend nur der Wiederbeschaffungsaufwand angesehen werden (BGH, Urt. v. 5.2.2013 – VI ZR 363/11 = NZV 2013, 229; BGH, Urt. v. 7.6.2005 – VI ZR 192/04 = NJW 2005, 2541).
Rz. 130
Der Geschädigte kann aber die Reparaturkosten abrechnen, wenn er ein schützenswertes Integritätsinteresse hat. Die Anforderungen hieran sind unterschiedlich hoch, je nachdem, ob der Geschädigte konkret oder fiktiv abrechnet.
Rechnet der Geschädigte konkret ab, nachdem er das Fahrzeug repariert hat, weist er ein schützenswertes Integritätsinteresse auf und kann die Reparaturkosten ersetzt verlangen. Es kommt nicht darauf, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich weiter nutzt, und die Reparatur muss nicht vollständig und fachgerecht den Vorgaben aus dem Gutachten entsprechen. Denn es kommt nicht auf die Qualität der durchgeführten Reparatur an, solange die Reparaturkosten nicht den Wiederbeschaffungswert übersteigen.
Rz. 131
Muster 8.36: Abrechnung der konkreten Reparaturkosten auf der zweiten Stufe
Muster 8.36: Abrechnung der konkreten Reparaturkosten auf der zweiten Stufe
Der als Anlage beigefügten Rechnung vom _________________________ bitten wir zu entnehmen, dass das beschädigte Fahrzeug unserer Mandantschaft für _________________________ EUR instandgesetzt worden ist. Ihr steht daher ein Anspruch auf Ersatz dieser Reparaturkosten zu, die unterhalb des Wiederbeschaffungswertes liegen, ohne dass sie sich auf die Kosten einer Ersatzbeschaffung verweisen lassen muss (BGH, Urt. v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10 = NJW 2011, 667; BGH, Urt. v. 5.12.2006 – VI ZR 77/06 = NJW 2007, 588). Dabei kommt es nicht auf die Qualität der durchgeführten Reparatur an, solange die Reparaturkosten nicht den Wiederbeschaffungswert übersteigen (BGH, Urt. v. 29.4.2003 – VI ZR 393/02 = NJW 2003, 208).
Rz. 132
Rechnet der Geschädigte dagegen fiktiv ab, muss er sich grundsätzlich auf den Wiederbeschaffungsaufwand verweisen lassen. Ihm stehen aber bei einer rein fiktiven Abrechnung die Reparaturkosten (netto) zu, wenn er sein Fahrzeug repa...