Dr. Michael Nugel, Sebastian Gutt
Rz. 109
Da eine Mehrwertsteuer nur ersetzt wird, wenn und soweit diese tatsächlich angefallen ist, bestimmt die konkrete Wahl bei der Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs, ob und in welcher Höhe die Mehrwertsteuer angefallen ist. Ein im Gutachten ausgewiesener Mehrwertsteuerbetrag ist dabei unerheblich: Rechnet der Geschädigte konkret nach den bei der Wiederbeschaffung entstandenen Kosten ab, sind diese der einzige Maßstab für den Umfang des Schadensersatzanspruchs. Im Wege der konkreten Schadensberechnung kann der Geschädigte die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes für das unfallbeschädigte Fahrzeug ersetzt verlangen.
Rz. 110
Dies gilt konsequent auch, wenn der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug erwirbt, das (ein wenig) teurer als ein gleichwertiges Fahrzeug ist. In diesem Fall steht dem Geschädigten der tatsächlich aufgewendete Betrag zu, begrenzt auf den Wiederbeschaffungswert des verunfallten Fahrzeugs.
Rz. 111
Ist tatsächlich keine Mehrwertsteuer angefallen bzw. rechnet der Geschädigte den Wiederherstellungsaufwand fiktiv ab, stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe vom Bruttowiederbeschaffungswert ein Abzug wegen der nicht angefallenen Mehrwertsteuer vorzunehmen ist. Da es sich um eine fiktive Abrechnung handelt, ist entscheidend, auf welche Art und Weise ein entsprechendes Ersatzfahrzeug i.d.R. zu erwerben wäre. Im Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung hat der Tatrichter zu klären, ob das betroffene Fahrzeug üblicherweise auf dem Gebrauchtwagenmarkt nach § 10 UstG regelbesteuert, nach § 25a UstG differenzbesteuert oder von privater Hand ohne Umsatzsteuer angeboten wird. Maßgeblich ist dabei, auf welche Art und Weise das Fahrzeug mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf dem Markt angeboten wird.
Hierbei ist zwischen den nachfolgenden drei Konstellationen zu unterscheiden:
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Es ist davon auszugehen, dass das Fahrzeug i.d.R. aus privater Hand erworben wird. In diesem Fall fällt keine Mehrwertsteuer an und es ist dementsprechend auch kein Abzug vorzunehmen. Solche Fälle liegen nahe, wenn es sich um derart alte Fahrzeuge handelt, dass kein Händler regelmäßig für diese eine Gewährleistung geben und sie veräußern würde. So wird beispielsweise in der Rechtsprechung angenommen, dass i.d.R. ab einem Fahrzeugalter von sieben Jahren, spätestens aber 10 Jahren davon auszugehen ist, dass kein Händler mehr die bei einem Verkauf anfallende Garantieerklärung abgeben möchte und deshalb von einem Erwerb aus privater Hand auszugehen ist. Bei hochwertigen Markenfahrzeugen, z.B. des Typs Mercedes, kann mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bei einem Fahrzeugalter von sechs Jahren jedoch noch von der Veräußerung durch einen Gebrauchtwagenhändler ausgegangen werden. |
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Es handelt sich um ein Neufahrzeug, das von einem Händler erworben wird. In diesem Fall ist von einem Abzug in Höhe von 19 % auszugehen. In dieser Höhe würde eine Mehrwertsteuer beim Erwerb vom Händler anfallen. |
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Es ist davon auszugehen, dass das Fahrzeug i.d.R. von einem Kfz-Händler erworben wird. Hier ist wie folgt weiter zu unterscheiden:
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Der Händler erwirbt das Fahrzeug regelmäßig von einem anderen Händler bzw. einer Person, die ebenfalls zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In diesen Fällen verbleibt es bei der Regelbesteuerung in Höhe von 19 %, die ohne einen entsprechenden Nachweis ihres Anfalles abzuziehen ist. |
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Es ist davon auszugehen, dass der Händler das Fahrzeug aus privater Hand erwirbt. In diesen Fällen greift § 25a UStG, d.h. der Händler hat eine Mehrwertsteuer nur auf den Differenzbetrag zwischen dem Preis, zu welchem er das Fahrzeug einkauft und dem Verkaufspreis abzuführen. |
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Rz. 112
Beispiel
Der Händler H kauft das Fahrzeug für 10.000 EUR aus privater Hand und veräußert es für 12.000 EUR an den Geschädigten. In diesem Fall hat der Händler lediglich auf den Differenzbetrag von 2.000 EUR die Mehrwertsteuer (i.H.v. 380 EUR) zu entrichten.
Rz. 113
Da die Händler in den wenigsten Fällen bereit sein werden, ihre konkrete Gewinnspanne offenzulegen, ist im Zweifel die Händlergewinnspanne zu schätzen. Insoweit ist es unschädlich, wenn die Rechnung über ein Ersatzfahrzeug die Mehrwertsteuer nicht ausweist. Bleiben jedoch restliche Zweifel bestehen, ist von einem Mehrwertsteueranteil von 19 % auszugehen. Bei gebrauchten Kraftfahrzeugen wird jedoch in der Regel eine Differenzbesteuerung anzunehmen sein.
Rz. 114
Steht fest, dass von einer Differenzbesteuerung auszugehen ist, so wird in der Rechtsprechung teilweise angenommen, die Händlergewinnspanne läge bei 15 %. Dies entspricht einem Mehrwertsteueranteil von gut 2,75 % auf den Händlereinkaufspreis. In vielen Gerichtsbezirken hat sich die Schätzung eines Mehrwertsteueranteils in Höhe von (gerundet) 2–3 % durchgesetzt. Auch der BGH hat eine Schätzung in Höhe von 2 % durch den Tatrichter nicht beanstandet. Stellenweise wird der Anteil aber auch bei 3,2 % vom Wiederbeschaffungswert auf Grundlage angeset...