Rz. 565
Nach Nr. 3100 VV RVG erhält der Anwalt eine 1,3 Verfahrensgebühr. Diese Gebühr entsteht nach Abs. 2 Vorbem. 3 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Entgegennahme der Information. Der Anwendungsbereich entspricht damit also dem der früheren Prozessgebühr.
(1) Vorzeitige Erledigung
Rz. 566
Erledigt sich der Auftrag vorzeitig, etwa weil es nicht mehr zur Klageeinreichung kommt, so erhält der Anwalt nach Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG lediglich eine 0,8 Verfahrensgebühr (bisher § 32 Abs. 1 BRAGO: 5/10-Gebühr).
Rz. 567
Beispiel
Der Anwalt erhält den Auftrag, Klage auf Schadensersatz i.H.v. 10.000 EUR zu erheben. Bevor er die Klage einreicht, zahlt der Versicherer. Es entsteht nach Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG nur eine 0,8 Gebühr. Abzurechnen ist also wie folgt:
0,8 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3101 Ziff. 1 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) |
446,40 EUR |
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
Zwischensumme |
466,40 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
88,62 EUR |
Gesamt |
555,02 EUR |
(2) Protokollierung weiter gehender nicht anhängiger Ansprüche
Rz. 568
Kommt es im gerichtlichen Verfahren zur Protokollierung einer Einigung über weitergehende nicht anhängige Ansprüche, so entsteht nach Nr. 3101 Ziff. 2 Alt. 1 VV RVG zusätzlich eine 0,8 Verfahrensgebühr, wobei allerdings § 15 Abs. 3 RVG zu berücksichtigen ist. Insgesamt kann der Anwalt nicht mehr als eine 1,3 Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert verlangen.
Beispiel
Eingeklagt ist der Sachschaden i.H.v. 10.000 EUR. Im Termin einigen sich die Parteien über die Klageforderung sowie über eine nicht anhängige Schmerzensgeldforderung i.H.v. 2.000 EUR. Aus dem Wert des Schmerzensgeldanspruchs entsteht jetzt zusätzlich unter Beachtung des § 15 Abs. 3 RVG eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG.
Die Verfahrensgebühr(en) berechnen sich wie folgt:
1,3 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) |
725,40 EUR |
0,8 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG (Wert: 2.000 EUR) |
120,00 EUR |
gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 12.000 EUR |
785,20 EUR |
(3) Verhandlungen über weiter gehende nicht anhängige Ansprüche
Rz. 569
Neu ist, dass der Anwalt auch dann eine 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Ziff. 2 VV RVG erhält (2. Alt.), wenn es nicht zu einer Protokollierung der nicht anhängigen Gegenstände kommt, sondern die Parteien lediglich Verhandlungen oder Erörterungen vor Gericht zur Einigung über solche Ansprüche führen.
(4) Gebührenerhöhung bei mehreren Auftraggebern
Rz. 570
Vertritt der Anwalt mehrere Auftraggeber, so erhöht sich die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV RVG um 0,3 je weiteren Auftraggeber, soweit diese an dem zugrunde liegenden Gegenstand gemeinschaftlich beteiligt sind (Nr. 1008 VV RVG).
Rz. 571
Problematisch ist insbesondere in Verkehrsunfallsachen die Berechnung, wenn die verschiedenen Auftraggeber nur teilweise gemeinschaftlich beteiligt sind. Eine solche Konstellation ergibt sich in der Regel bei Klage und Widerklage. Während die Klage nur im Namen eines Auftraggebers geführt wird, richtet sich die Widerklage in aller Regel zumindest gegen Fahrer und Versicherer, gelegentlich auch zusätzlich gegen den Halter, also u.U. gegen drei Auftraggeber, sodass sich die Verfahrensgebühr insoweit erhöht.
Rz. 572
Wichtig ist, dass es auch nach dem RVG keine "Erhöhungsgebühr" gibt, sondern nur erhöhte Gebühren. Die Erhöhung darf daher nicht selbstständig als eigene Gebühr berechnet werden. Auch wenn die Erhöhung bei mehreren Auftraggebern bei den "allgemeinen Gebühren" steht, darf dies nicht dazu verleiten, sie als eigene Gebühr anzusehen. Der Wortlaut der Nr. 1008 VV RVG ist eindeutig. Es wird keine neue zusätzliche Gebühr gewährt. Vielmehr findet nur eine Erhöhung anderer Gebühren statt.
Rz. 573
Beispiel
Der Fahrzeugeigentümer beauftragt seinen Anwalt, gegen den Unfallgegner Klage auf Schadensersatz in Höhe von 12.000 EUR zu erheben. Nach Zustellung der Klage erhebt der Unfallgegner Widerklage gegen den Fahrzeugeigentümer sowie gegen den Fahrer und den Haftpflichtversicherer auf Ersatz seines Schadens in Höhe von 7.000 EUR. Der Anwalt des Fahrzeugeigentümers erhält auch das Mandat für die Verteidigung gegen die Widerklage.
Rz. 574
Die überwiegende Rspr. will in solchen Fällen eine nicht erhöhte Gebühr aus dem Gesamtwert abrechnen sowie eine Erhöhung aus dem Wert der gemeinschaftlichen Beteiligung (OLG Köln Rpfleger 1987, 175; OLG Frankfurt MDR 1983, 764; OLG Saarbrücken JurBüro 1988, 189; LG Berlin Rpfleger 1981, 123; LG Freiburg Rpfleger 1982, 393; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 21. Auflage, Nr. 1008 VV Rn 228 ff.).
Rz. 575
Danach wäre wie folgt zu rechnen:
1,3 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.000 EUR) |
785,20 EUR |
0,6 Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 VV RVG (Wert: 7.000 EUR) |
243,00 EUR |
Gesamt |
1.028,20 EUR |
Rz. 576
Die Berechnung ist jedoch unzutreffend, da es – wie bereits ausgeführt – keine Erhöhungsgebühr gibt, sondern nur erhöhte Gebühren. Zutreffend ist vielmehr, aus dem Wert der einfachen Beteiligung die nicht erhöhte Verfahrensgebühr zu berechnen und aus dem Wert der mehrfachen Beteiligung eine erhöhte Gebühr. Das Gesamtaufkommen ist dann nach § 15 Abs. 3 RVG zu begrenzen (OLG Hamburg MDR 1978, 767; LG Bonn AGS 1998, 115; LG Bo...