Prof. Dr. Martin Henssler, Christiane Pickenhahn
Rz. 5
Während das interne Crowdworking naturbedingt aufgrund der Ausschreibung innerhalb des eigenen Arbeitnehmerkreises keine Probleme der rechtlichen Qualifizierung als Arbeitsverhältnis mit sich bringt, kann diese Einordnung der Tätigkeit bei externen Crowdworkern und anderen Plattformarbeitern aufgrund des hinzutretenden dritten Akteurs (dem Plattformbetreiber) Schwierigkeiten bereiten. Das Drei-Personen-Verhältnis (bzw. ggf. Mehrpersonenverhältnis) bedingt, dass sowohl das Verhältnis zum Auftraggeber als auch dasjenige zum Plattformbetreiber näher zu analysieren ist.
Ständig neue Geschäftsmodelle machen eine systematische Kategorisierung schwierig. Eine pauschale rechtliche Einordnung ist aufgrund der Vielzahl der Geschäftsmodelle nicht möglich. Grundsätzlich ist auch im digitalen Zeitalter weiterhin danach zu unterscheiden, zwischen welchen Personen tatsächlich ein Vertragsverhältnis vorliegt und welchen Charakter das Verhältnis im Einzelfall aufweist, insbesondere ob es von einer Weisungsbindung geprägt ist. Von dieser im Einzelfall sehr anspruchsvollen Aufgabe können bisherige Kategorisierungsversuche den Plattformarbeiter bzw. Rechtsberater nicht befreien.
I. Vorfrage: Anwendbares Recht
Rz. 6
Bevor man sich der nationalen Qualifizierung des Vertragsverhältnisses nähert, stellt sich die Vorfrage, ob überhaupt deutsches Recht auf das jeweilige Vertragsverhältnis Anwendung findet. Keine Probleme ergeben sich, wenn die AGBs der Plattform keine Rechtswahlklausel enthalten und die Parteien auch keine individualvertragliche Vereinbarung treffen, da dann das Recht des Staates, in dem der oder die Dienstleistende den gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (Art. 4 Abs. 1 lit. b) Rom I-Verordnung), gilt. In den AGBs der international tätigen Plattformbetreiber finden sich aber regelmäßig Rechtswahlklauseln, wobei ausländische Plattformen in aller Regel in ihren Vertragsbedingungen das Recht des Staates für anwendbar erklären, in welchem sie ihren Sitz haben. Andere Gestaltungen sind ebenso möglich. Während für Dienst- und Werkverträge grds. eine freie Rechtswahl der Vertragsparteien besteht (so Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO), wird die Rechtswahlfreiheit bei Arbeitsverhältnissen insoweit eingeschränkt, als die jeweilige Rechtswahl den abhängig Beschäftigten nicht den Schutz entziehen darf, der ihnen ohne Rechtswahl zustünde (Art. 8 Rom I-VO). Von der rechtlichen Einordnung hängt letztlich auch die Frage des anwendbaren Rechts und damit die Frage nach dem Schutzniveau ab, denn nur dann, wenn das Vertragsverhältnis als abhängiges Beschäftigungsverhältnis eingeordnet wird, darf das Schutzniveau des deutschen Rechts nicht unterschritten werden.
II. Vertragsverhältnisse
Rz. 7
Das Vertragskonstrukt zwischen den drei Akteuren (plattformbetreibendes Unternehmen, Crowd-sourcer und Crowdworker) bzw. teilweise sogar vier oder mehr Akteuren kann sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der vorgeschalteten Nutzungs-/oder Rahmenvereinbarung zwischen der Plattform und den Crowdsourcern (Plattform <-> Crowdsourcer) sowie der Plattform und den Crowdworkern (Plattform <-> Crowdworker) sowie anderseits den konkreten Auftragsverhältnissen. Während die Nutzungsvereinbarungen auf der ersten Stufe jeweils die Bedingungen der Nutzung der Plattform regeln, sind die eigentlichen Auftragsverhältnisse (auf der zweiten Stufe) sowohl direkt zwischen Crowdsourcer und Crowd-worker ("Direct Crowdwork") als auch in der Form vorzufinden, dass Crowdworker und Crowdsourcer keinen unmittelbaren Vertrag, sondern – entsprechend den Nutzungsvereinbarungen – jeweils mit der Plattform einen Vertrag abschließen ("Indirect Crowdwork").
Die Nutzungsvereinbarung zwischen Crowdworker und Plattformbetreiber kann (jedenfalls für sich allein) weder als Dienst- noch als Arbeitsverhältnis angesehen werden. Sie regelt lediglich die Rahmenbedingungen für zukünftige über die Plattform abzuschließende Geschäfte. Sie verpflichtet den Crowdworker weder zu einer konkreten Leistung noch dazu, eine bestimmte Anzahl an Aufträgen annehmen zu müssen. Auch nach der Rechtsprechung des BAG ist notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses, dass sich die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer vertraglich zur Leistung von konkreten Diensten verpflichtet. Eine Rahmenvereinbarung, welche nur die Bedingungen der erst noch abzuschließenden Arbeitsverträge wiedergibt, selbst aber noch keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung begründet, ist kein Arbeitsvertrag (BAG v. 15. 2.2012 - 10 AZR 111/11, NZA 2012, 733 Rn 15; BAG v. 16.4.2003 – 7 AZR 187/02, NZA 2004, 40).
III. Persönliche Abhängigkeit zum Crowdsourcer/Auftraggeber
Rz. 8
Die Tätigkeit des überwiegenden Teils der Crowdworker ist nicht durch feste Vorgaben hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsweise sowie ebenso wenig durch eine Eingliederung in eine Betriebsorganisation oder den Betriebsablauf des jeweiligen Auftraggebers gekennzeichnet (HWK/Henssler, TVG, § 12a Rn 22). Hieraus lässt sich aber keine generelle Ablehnung der Arbeitnehmereigenschaft für alle Formen der Plattformarbeit schließe...