Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
A. Einleitung
Rz. 1
Wenn die Angelegenheit entscheidungsreif ist, beraumt das Gericht einen Verkündungstermin an, der nur mit besonderer Begründung drei Wochen überschreiten darf, § 310 Abs. 1 S. 2 ZPO. In Zivilsachen ist es unüblich, sogleich am Schluss der mündlichen Verhandlung ein streitiges Urteil (sog. Stuhlurteil) zu verkünden. Die Parteien brauchen zu dem protokollierten Verkündungstermin nicht zu erscheinen, worüber der Mandant zu informieren ist (meistens gehen Mandanten von einer Verpflichtung zum Erscheinen am Verkündungstermin aus).
Rz. 2
Nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, wenn also kein weiterer Termin mehr erforderlich ist, dürfen die Parteien keine neuen Tatsachen mehr vortragen. Diese würden vom Gericht nicht mehr beachtet werden. Rechtsmeinungen können bis zum Erlass des Urteils geäußert werden. Das Gericht wird diese zur Kenntnis nehmen und prüfen.
Die verkündete Entscheidung (z.B. Urteil, Beweis-, Hinweis-, Auflagenbeschluss) wird umgehend per beA zugestellt. Telefonische Abfragen bzgl. der Entscheidung erübrigen sich meistens, weil oftmals noch am Tag der Verkündung die Entscheidung im elektronischen Postfach des Anwalts eingeht.
B. Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
Rz. 3
In bestimmten gesetzlich vorgesehenen Fällen, wie z.B. bei Verfahrensfehlern des Gerichts, insbesondere bei der Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht, § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, oder wenn ein Richter zwischenzeitlich ausgeschieden ist, kann eine Wiedereröffnung des Verfahrens begründet sein, § 156 Abs. 1 ZPO. Das Gericht kann eine Veranlassung zur Wiedereröffnung z.B. auch dann sehen, wenn sich die im Verhandlungstermin geäußerte vorläufige Beurteilung der Rechtslage im Zuge der Nachberatung geändert hat, um so eine unzulässige Überraschungsentscheidung zu vermeiden.
Rz. 4
Man kann sich mit einer entsprechenden Anregung an das Gericht wenden, auch wenn es kein eigentliches Antragsrecht gibt. Das Gericht entscheidet, ob es die Verhandlung wiedereröffnen will. Es liegt aber durchaus eine Verletzung rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht beispielsweise einen am frühen Morgen des Verkündungstages eingegangen Schriftsatz nicht vor der Verkündung seiner Entscheidung zur Kenntnis genommen und geprüft hat, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der Verhandlung nach § 156 ZPO vorliegen.
Rz. 5
Eröffnet das Gericht den Prozess nicht noch einmal, obwohl nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entsprechende Tatsachen vorgetragen sind, kommen als Verfahrensrechte der Parteien eine Gehörsrüge, die Berufung und, nach Erschöpfung des Rechtsweges, die Verfassungsbeschwerde in Betracht.
C. Anhörungsrüge
Rz. 6
§ 321a ZPO soll den Gerichten die Möglichkeit zu einer Selbstkorrektur getroffener Entscheidungen geben, welche unter Verletzung des rechtlichen Gehörs einer Partei gefällt worden sind, und dadurch das BVerfG von Verfassungsbeschwerden entlasten, die auf Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG beruhen. Ohne diesen Rechtsbehelf könnte das Bundesverfassungsgericht mittels einer Verfassungsbeschwerde angerufen werden, wenngleich keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Fragen zu klären sind.
Rz. 7
Die Praxiserfahrung zeigt freilich, dass erfolgreiche Gehörsrügen nach § 321a ZPO außerordentlich selten sind. Das mag durchaus daran liegen, dass die Entscheidungszuständigkeit des iudex a quo – was bereits Anlass für rechtspolitische Kritik war – zumindest als "unglücklich" zu bezeichnen ist, denn vom entscheidenden Richter wird die Einsicht verlangt, fehlerhaft gehandelt zu haben. Restriktive anwaltliche Erfolgshoffnungen, dass ein Richter seine eben erst getroffene Entscheidung wieder verwirft, sind daher absolut nachvollziehbar.
Rz. 8
Die Gehörsrüge ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf. Er hemmt die Rechtskraft nicht und ist gegenüber anderen Rechtsmitteln/-behelfen subsidiär. Er ergänzt § 156 ZPO, der eine Wiedereröffnung der Verhandlung vor der Verkündung der Entscheidung ermöglicht.
Rz. 9
Die Gehörsrüge ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen, § 321a Abs. 2 ZPO, wenn das rechtliche Gehör entscheidungserheblich verletzt wurde, z.B. bestimmte Behauptungen des Mandanten übergangen worden sind, und ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (wenn der Gegenstandswert in der ersten Instanz nicht über 600,00 EUR liegt). Dabei sollte indes der Mandant vorab darüber informiert werden, dass in einem Urteil nur der wesentliche und damit nicht sämtlicher Vortrag aufgenommen werden muss (sodass seine wiederholt vorgebrachten Argumente möglicherweise nicht weiter behandelt werden) und zwar:
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im Tatbestand nur eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts, § 313 Abs. 2 S. 1 ZPO, und |
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in den Entscheidungsgründen nur eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht, § 313 Abs. 3 ZPO. |
Rz. 10
Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss, § 321a Abs. 4 ZPO. Gerichtskosten in Höhe einer Festgebühr von 66,00 EUR fallen pauschal nach KV 1700 an, wenn die Rüge verwo...