A. Bedeutung des Entstehungszeitpunkts
Rz. 1
Der Entstehungszeitpunkt der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer ist grundsätzlich maßgeblich für
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den Stichtag der Wertermittlung (Bewertungsstichtag) gem. § 11 ErbStG (siehe § 8 Rdn 7 ff.>), |
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die Berücksichtigung früherer Erwerbe i.S.d. § 14 ErbStG (siehe § 7 Rdn 1 ff.>), |
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die Verwandtschaftsverhältnisse, mithin für den auf den Erwerb anwendbaren Freibetrag und den Steuertarif i.S.d. §§ 15 und 19 ErbStG (siehe § 5 Rdn 1 ff.>), |
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die Erbschaftsteuerbelastung bei mehrfachem Erwerb desselben Vermögens gem. § 27 ErbStG (siehe § 3 Rdn 164 ff.>), |
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für die Abgrenzung zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht i.S.d. § 2 Abs. 1 ErbStG (siehe § 18 Rdn 1 ff.>), |
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für den Beginn der Festsetzungsfrist i.S.d. § 170 AO, mithin die Festsetzungsverjährung (siehe dazu). |
Die Steuer entsteht in dem in § 9 ErbStG genannten Zeitpunkt unabhängig von der Steuerfestsetzung durch das Finanzamt. Die Fälligkeit (Zahlungspflicht) der Steuerschuld wiederum tritt frühestens mit Bekanntgabe des steuerfestsetzenden Bescheids ein, § 220 AO.
Rz. 2
Eine Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln, wobei ein Ermittlungszeitraum in Fällen, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweisen, von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen ist. Die Besteuerungsgrundlagen – insbesondere die Steuerklasse (siehe § 5 Rdn 11>) – sind in diesem Fall zu schätzten.
Der Bescheid ist dann dem Nachlasspfleger bekanntzugeben, § 32 Abs. 2 ErbStG, der – anders als der Testamentsvollstrecker (siehe § 17 Rdn 14>) – zur Einlegung von Rechtsmitteln befugt ist.
B. Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer
I. Grundsatz
Rz. 3
Die Erbschaftsteuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen i.S.d. § 3 ErbStG grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Dies gilt insbesondere für den Erwerb durch Erbanfall und durch Vermächtnis. Für die Entstehung der Steuer ist grundsätzlich unbeachtlich, dass der Vermächtnisanspruch zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht erfüllt ist (siehe § 3 Rdn 74>).
II. Besondere Stichtage für die Entstehung der Erbschaftsteuer
1. Aufschiebende Bedingung, Betagung und Befristung
Rz. 4
Die Steuer entsteht für den Erwerb des unter einer aufschiebenden Bedingung, unter einer Betagung oder Befristung Bedachten sowie für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses, § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG.
In § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG sind zwei Fallgruppen geregelt:
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Zum einen ist der Bedachte unter einer aufschiebenden Bedingung, Betagung oder Befristung eingesetzt, mithin ist der Erwerbsgrund selbst betroffen, § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Hs. 1 ErbStG. |
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Zum anderen sind die dem Bedachten zugewandten Ansprüche selbst bedingt, betagt oder befristet, mithin ist der Erwerbsgegenstand betroffen, § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a Hs. 2 ErbStG. |
Rz. 5
Der auflösend bedingte Erwerb ist in § 9 ErbStG nicht geregelt, da sich die auflösende Bedingung auf die Besteuerung zunächst nicht auswirkt, § 12 Abs. 1 BewG i.V.m. § 5 Abs. 1 BewG. Die Steuer entsteht mithin zunächst wie beim unbedingten Erwerb, dh ganz normal. Erst bei Bedingungseintritt erfolgt nach § 5 Abs. 2 BewG bzw. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 AO eine Korrektur.
Rz. 6
Zivilrechtlich sind betagte Ansprüche i.S.d. § 813 Abs. 2 BGB solche, die bereits entstanden sind, aber erst zu einem bestimmten (feststehenden) Zeitpunkt fällig werden. Klassischer Fall ist die Stundung. Anders als befristete oder aufschiebend bedingt Ansprüche sind betagte Ansprüche mithin nur bezüglich ihrer Fälligkeit vom Fristlauf abhängig und nicht bereits in ihrem Entstehen dem Grunde nach. Die Erbschaftsteuerpflicht entsteht bei betagten Ansprüchen daher dem Regelfall entsprechend bereits mit dem Tod des Erblassers, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Dies gilt etwa bei einem Vermächtnisanspruch, der erst mit dem 23ten Lebensjahr des Vermächtnisnehmers fällig wird (betagtes Vermächtnis) oder mit dem Erwerb einer gestundeten Kaufpreisforderung. Solche betagten Ansprüche i.S.d. ErbStG sind dann ggf. auf Bewertungsebene gem. § 12 Abs. 3 BewG abzuzinsen. Mit "betagten Ansprüchen" sind erbschaftsteuerlich i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG hingegen solche gemeint, die dem Grunde nach bereits entstanden sind, bei denen aber der Eintritt oder der Zeitpunkt des Eintritts der Fälligkeit ungewiss oder unbestimmt ist. In diesen Fällen kann § 12 Abs. 3 BewG mangels eines bestimmten Endzeitpunkts für den Fälligkeitseintritt nicht greifen, der Ansatz eines abgezinsten unter dem Nennwerts liegenden Werts i.S.d. § 12 Abs. 1 BewG ist mithin nicht möglich. In diesen Fällen kommt es daher zu einer Abweichung vom Grundsatz der Steuerentstehung mit dem Tod des Erblassers gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Die Erbschaftsteuer entsteht wie bei aufschiebend bedingten und befristeten Forderungen erst mit Eintritt des Ereignisses, das zur Fälligkeit des...