Rz. 395
Die erteilte Auskunft muss den Pflichtteilsberechtigten in die Lage versetzen, seinen Pflichtteilsanspruch zuverlässig berechnen zu können. Deshalb hat der Erbe in einem Verzeichnis gem. § 260 BGB über all die Berechnungsfaktoren Auskunft zu erteilen, die für die Pflichtteilsberechnung – einschließlich Ergänzungsanspruch – benötigt werden. Eine (zeitraumbezogene) Rechnungslegungspflicht besteht im Rahmen des § 2314 BGB nicht.
Unter die Berechnungsfaktoren fallen:
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die tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände (realer Nachlass) |
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die Verbindlichkeiten |
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ausgleichungspflichtige Zuwendungen des Erblassers (§§ 2050, 2316 BGB) |
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Schenkungen des Erblassers innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Todestag (§ 2325 BGB) – wegen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs (fiktiver Nachlass); bei Schenkungen an Ehegatten ohne die zeitliche Beschränkung (§ 2325 Abs. 3 BGB), und zwar auch ehebedingte (unbenannte) Zuwendungen an den Ehegatten |
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Angaben über den Güterstand, in dem der Erblasser gelebt hat – wegen der Auswirkungen auf die Höhe des gesetzlichen Erbteils und damit des Pflichtteils –, und über die Vereinbarung der Gütergemeinschaft – auch zu einem früheren Zeitpunkt – im Hinblick darauf, dass die Vereinbarung der Gütergemeinschaft u.U. ausnahmsweise wie eine pflichtteilsergänzungsrelevante Schenkung behandelt wird |
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Vorlage von Bilanzen samt Gewinn- und Verlustrechnung sowie sonstiger Geschäftsunterlagen, wenn eine Beteiligung an einer GmbH, OHG oder KG in den Nachlass fällt oder wenn der Erblasser Inhaber eines Unternehmens war, soweit zur Pflichtteilsberechnung erforderlich |
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Auskunftserteilung an den Pflichtteilsberechtigten über Schenkungen im Sinne des § 2325 Abs. 1 BGB kann sich auch auf Vermögensgegenstände erstrecken, die der Erblasser in eine Anstalt oder Stiftung liechtensteinischen Rechts eingebracht hat. |
Rz. 396
BGH in BGHZ 33, 373:
Zitat
1. Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten umfasst nicht nur die beim Erbfall tatsächlich vorhandenen Nachlassgegenstände, sondern auch die ausgleichspflichtigen Zuwendungen des Erblassers, seine Schenkungen innerhalb der letzten zehn Lebensjahre und die Nachlassverbindlichkeiten (Bestätigung von BGH LM BGB § 260 Nr. 1).
2. Auf alle diese Berechnungsfaktoren erstreckt sich grundsätzlich auch das amtliche Verzeichnis, das der Pflichtteilsberechtigte nach § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB verlangen kann.
3. Dadurch, dass der Erbe bereits durch ein Privatverzeichnis Auskunft erteilt hat, wird das Verlangen nach einem amtlichen Verzeichnis nicht ausgeschlossen (Bestätigung von RGZ 72, 379).
…
Auskunft zum digitalen Nachlass: Ohne Angaben zum digitalen Nachlass ist die Auskunft nicht vollständig erteilt.
Rz. 397
Der Pflichtteilsberechtigte kann seine eigene Zuziehung bei Aufnahme des Verzeichnisses oder die Aufnahme durch eine Amtsperson – i.d.R. durch einen Notar – verlangen (§ 2314 BGB, § 20 Abs. 1 BNotO).
Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Erbe gegenüber dem pflichtteilsberechtigten Nichterben nicht nur – wie anerkannt – die Einholung eines Wertgutachtens i.S.d. § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern auch die von ihm nach § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB verlangte Einholung eines notariellen Nachlassverzeichnisses gem. § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB verweigern darf, wenn ein Aktivnachlass, aus dem die Kosten für den Notar entnommen werden können, nicht vorhanden ist.
Bei Grund zur Annahme, das Verzeichnis sei nicht sorgfältig genug aufgestellt worden, sind auf Verlangen Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides statt zu versichern (§ 260 Abs. 2 BGB). Die eidesstattliche Versicherung ist – freiwillig – vor dem Amtsgericht abzugeben: §§ 410 Nr. 1, 413 FamFG; funktionell zuständig ist der Rechtspfleger, § 3 Nr. 1 Buchst. b RPflG. Wird die eidesstattliche Versicherung verweigert, muss ein Urteil auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erwirkt werden. Die Zwangsvollstreckung richtet sich nach §§ 889 Abs. 2, 888 ZPO. Zuständig ist der Rechtspfleger beim Amtsgericht (§ 20 Abs. 1 Nr. 17 RPflG); Erzwingungshaft kann aber nur vom Richter angeordnet werden (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 RPflG).
Rz. 398
OLG Celle (Beschl. v. 21.1.2002 – 4 W 318/01) zu den Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis:
Zitat
1. Ein durch einen Notar aufgenommenes Verzeichnis gem. § 2314 BGB liegt nicht bereits dann vor, wenn der Notar lediglich Erklärungen des Auskunftspflichtigen über den Bestand bekundet. Ein durch einen Notar aufgenommenes Nachlassverzeichnis liegt nur dann vor, wenn der Notar den Nachlassbestand selbst ermittelt hat und durch Untersuchung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringt, dass er für dessen Inhalt verantwortlich ist.
2. Das Recht des Pflichtteilsberechtigten, von dem Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses in Form der Aufnahme eines Verzeichnisses durch einen Notar zu verlangen ist ein materiell-rechtlicher Anspruch, welcher nicht durch eine erfolgte Auskunft in einem Privatverzeichnis oder anwaltlichen Schrifts...