Rz. 110
Zu den Reizvokabeln des Verkehrsrechtes gehört der gegen Haftpflichtversicherer erhobene Vorwurf der verzögerlichen Regulierung (Diehl, zfs 2008, 12). Oft genug besteht aber begründeter Anlass, eine deutliche Schmerzensgelderhöhung wegen verzögerlicher Schadensregulierung durch den Versicherer oder gar dessen Zermürbungstaktik zu fordern (BGH VersR 1970, 134; OLG Dresden DAR 2017, 463; OLG Saarbrücken zfs 2015, 683; OLG Braunschweig zfs 1995, 90; OLG Köln SP 1995, 267; OLG Frankfurt NVersZ 99, 144; OLG Nürnberg zfs 1995, 452; LG Saarbrücken zfs 2001, 255; OLG Frankfurt DAR 1994, 21; LG Frankfurt/Oder SP 2005, 376). Das gilt auch bei unzureichender oder gar unterbliebener Vorschusszahlung auf das zu erwartende Schmerzensgeld (OLG Dresden DAR 2017, 463).
Rz. 111
Die Rspr. gelangt zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages in den Fällen, in denen der Haftpflichtversicherer durch Ausnutzung seiner wirtschaftlichen Machtstellung den Ausgleich unvertretbar verzögert. Tragende Erwägung ist hierbei die hierdurch verursachte Erhöhung des Leids des Geschädigten (OLG Hamm VersR 2003, 780 f.; OLG Saarbrücken zfs 2015, 683; OLG Saarbrücken VersR 2017, 698). Das schleppende Regulierungsverhalten eines Versicherers und dessen Prozessverhalten können nämlich beim Geschädigten eine weitere seelische Beeinträchtigung erzeugen, die sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken kann (OLG Nürnberg zfs 1995, 452; OLG Nürnberg DAR 1998, 276; Geigel-Pardey, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage 2020, Kap. 6 Rn 51; Palandt-Grüneberg, BGB, § 253 Rn 17). Eine Schmerzensgelderhöhung rechtfertigt es ferner, wenn das Regulierungs- bzw. Prozessverhalten des gegnerischen Haftpflichtversicherers vom Geschädigten als herabwürdigend empfunden wird, z.B. weil grundlose Behauptungen des Inhaltes aufgestellt worden sind, der Geschädigte habe unter Alkohol gestanden und trage daher eine Mithaftung (OLG Nürnberg NZV 1997, 358).
Rz. 112
Auch bei kleinlichem Regulierungsverhalten des Haftpflichtversicherers des Schädigers, der in nicht nachvollziehbarer oder offenkundig unbegründeter Weise Einwendungen gegen die Haftung oder die Höhe des Schmerzensgeldes erhebt, ist eine Erhöhung des angemessenen Schmerzensgeldbetrages möglich (OLG Frankfurt DAR 1994, 21; OLG Nürnberg zfs 1995, 452).
Rz. 113
Fraglich ist allerdings, wie hoch der "Säumnis-Zuschlag" gehen sollte. Eine Begrenzung auf 20 % wird vielfach angenommen (LG Saarbrücken zfs 2001, 255: Bei einem Basisschmerzensgeld von 250.000 DM Erhöhung um 50.000 DM). Aber auch eine Verdoppelung des an sich angemessenen Schmerzensgeldes ist vertreten worden (OLG Frankfurt NVersZ 1999, 144). Der Haftpflichtversicherer, der vorprozessual keinerlei Schmerzensgeld gezahlt hatte, machte die Zahlung davon abhängig, dass die Geschädigte eine Abfindungserklärung bezüglich sämtlicher weiterer, insbesondere auch unbekannter zukünftiger Ansprüche unterzeichnete, was nach Auffassung des Senats an den Tatbestand der Nötigung grenzte. Weiterhin war das in der ersten Instanz zugesprochene Schmerzensgeld von 10.000 DM bis zum Ende des Berufungsverfahrens nicht gezahlt worden, obwohl die Verurteilung nicht angegriffen worden war.
Rz. 114
Das OLG Frankfurt führt in seiner Entscheidung zu dem Problemkreis wörtlich aus:
Zitat
"Der Haftpflichtversicherer des Beklagten hat in vorliegendem Fall in nicht mehr verständlicher und in hohem Maße tadelnswerter Weise sich dem berechtigten Entschädigungsverlangen der Klägerin entgegengestellt. … Hierin (nämlich, in der zweiten Instanz noch nicht einmal das erstinstanzlich ausgeurteilte Schmerzensgeld an den Verletzten bezahlt zu haben) zeigt sich ganz besonders die gehäuft zu beobachtende Einstellung mancher Haftpflichtversicherer, den Gläubiger unzweifelhaft berechtigter Ansprüche geradezu als lästigen Bittsteller zu behandeln und mit kaum zu überbietender Arroganz die Regulierung selbst berechtigter Ansprüche zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil in die Länge zu ziehen."
Rz. 115
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist unter dem Gesichtspunkt kritisiert worden, dass das Schmerzensgeld keine Abschreckungsfunktion entfalten solle (Wiedemann, NVersZ 2000, 14 ff.). Kreative Versuche, den Geschädigten um seinen Schmerzensgeldanspruch zu bringen, rechtfertigen jedoch eine Erhöhung des Schmerzensgeldanspruchs (Diehl, zfs 2007, 12).
Rz. 116
Ein Versicherer hatte im Falle einer auch von ihm erkannten Schadensersatzverpflichtung durch Übersendung von Schecks mit gänzlich unzulänglichen Abfindungsbeträgen, einmal sogar unter Umgehung des Anwalts des Geschädigten, versucht, dem Geschädigten eine "Erlassfalle" zu stellen. Der Versicherer hegte die Erwartung, dass der Geschädigte oder sein Anwalt die Schecks einlösten, das darin nach der Vorstellung des Versicherers enthaltene Vergleichsangebot einer allzu niedrigen Schmerzensgeldzahlung annehmen würde und weitere Forderungen damit ausgeschlossen wären (LG Berlin, NZV 2006, 206; zur Erlassfalle: Frings, BB 1996, 809). Das Landgericht ließ es offen, ob ...