Rz. 131
Das Mitverschulden (hierzu vgl. auch § 3 Rdn 14) des Geschädigten an dem Eintritt seiner Schädigung soll nach der Auffassung des BGH nicht in der Weise berücksichtigt werden, dass das – ohne berücksichtigtes Mitverschulden – angemessene Schmerzensgeld bestimmt wird und dann eine Kürzung um die Mithaftungsquote erfolgt. Vielmehr sei das Schmerzensgeld unter Berücksichtigung der Haftungsquote zu bestimmen (BGH NZV 1991, 305). Die Praxis verfährt indes anders, ohne jedoch zu einem abweichenden Ergebnis zu gelangen (Diehl, zfs 2008, 13). Zunächst wird das an sich angemessene Schmerzensgeld bestimmt, sodann die Kürzung um die Quote vorgenommen.
Rz. 132
Bei hohen Mitverschuldensquoten stellt sich die Frage, ob ein Schmerzensgeldanspruch zu versagen ist. Ein etwa 80 %-iger Mitverschuldens- bzw. Mithaftungsanteil des Geschädigten schließt dessen Anspruch auf billige Entschädigung nicht von vornherein aus, sondern nur dann, wenn die Berücksichtigung des Mitverschuldens dazu führen würde, dass das Schmerzensgeld unter die Geringfügigkeitsgrenze fiele (Diehl, a.a.O.; OLG Hamburg OLGR 2006, 133).
Rz. 133
Als Tatbestände des Mitverschuldens kommen in der Praxis neben eigenem Alkoholgenuss auch das Mitfahren bei einem erkennbar fahrunfähigen Fahrer (OLG Hamm zfs 2006, 257) in Betracht. Das gilt auch dann, wenn sich Zweifel an der Fahrfähigkeit des Fahrers jedenfalls aufdrängen mussten (BGH NJW 1988, 2365; OLG Hamm zfs 2006, 257). Allein die Kenntnis, dass der Fahrer alkoholische Getränke zu sich genommen hat, reicht hierzu jedoch nicht (BGH VersR 1970, 624). Nur wenn der Fahrgast weiß, dass der Fahrer erhebliche Mengen Alkohol zu sich genommen hat, oder wenn Ausfallerscheinungen wahrzunehmen sind, ist eine Mitverantwortung zu bejahen. Einem Mitfahrer kann grundsätzlich nicht vorgeworfen werden, dass er nicht prüft, ob der Fahrer fahrtüchtig ist (OLG Hamm zfs 2006, 257).
Rz. 134
Der Tatbestand des Mitverschuldens kommt aber vor allem bei einem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes in Betracht (BGH DAR 2001, 117). Dabei werden in der Rechtsprechung Mithaftungsquoten in der Regel um 25 % bis ⅓ zugrunde gelegt.
Rz. 135
Der Grad der Mithaftung ist dabei nach § 254 Abs. 1 BGB umso höher, je mehr die Unfallverletzungen und die materiellen Folgen des Unfalls durch das Nichtanlegen des Gurtes verursacht worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.9.2000 – 14 U 7/00). Der Grad der Mithaftung kann bis zu 50 % betragen, wenn durch das Nichtanlegen des Gurtes der Geschädigte gerade solche Verletzungen erlitten hat, die bei einem angelegten Gurt vermieden worden wären.
Rz. 136
Bei Vorliegen grob pflichtwidrigen Verhaltens des Schädigers tritt jedoch ein mögliches Nichtanlegen des Gurtes durch den Getöteten – bezogen auf dessen Mitverschulden – nicht etwa zurück. Selbst bei einem grob pflichtwidrigen Verhalten des Unfallverursachers ist dem Verletzten ein erhebliches Mitverschulden an der Entstehung der gravierenden Unfallverletzungen aufgrund der Tatsache anzulasten, dass er die Anlegung des Sicherheitsgurtes unterlassen hat (LG Meinigen DAR 2007, 708).
Rz. 137
Hat die Verletzung der Gurtpflicht für den Grad der Verletzung jedoch eine so prägende Wirkung und verursacht sie einen Körperschaden von solcher Schwere, die den Bereich gewöhnlicher Unfallfolgen bei angegurteten Personen weit übersteigt, dann kann der Verursachungsbeitrag auch gegenüber ganz schwerem Verschulden nicht zurücktreten, da bei der Abwägung in erster Linie das Maß der Verursachung maßgeblich ist (OLG München DAR 1999, 264). Dann kommt es für die Haftungsverteilung ganz entscheidend darauf an, ob das Verhalten des Schädigers oder das des Geschädigten den Eintritt des Schadens in wesentlich höherem Maße wahrscheinlich gemacht hat (siehe § 3 Rdn 16, 53 und 53 ff.).
Rz. 138
Allerdings kommt eine Mithaftung nicht in Betracht, wenn sich der Umstand, nicht angegurtet gewesen zu sein, überhaupt nicht schadenserhöhend ausgewirkt hat. Da über diese Frage immer häufiger gestritten wird und die Versicherer regelmäßig und ausschließlich eine Mithaftungsquote von pauschal ⅓ unterstellen, sollte mittels eines unfallrekonstruktiven Sachverständigengutachtens der Nachweis geführt werden, dass sich der Verletzungsumfang aufgrund der konkreten Unfallsituation nicht reduziert hätte, wenn der Verletzte angeschnallt gewesen wäre. In einem sehr großen Teil der Fälle (z.B. seitlicher Aufprall) hätte der Gurt keinerlei Schutzfunktion gehabt. Oftmals war es sogar von Vorteil, nicht angeschnallt gewesen zu sein (z.B. die Überschlagsfälle, bei denen der Insasse ohne Gurt frühzeitig herausgeschleudert worden wäre, bevor er sich verletzen konnte). Es kommt also sehr oft auf die individuellen Gegebenheiten des ganz konkreten Unfallereignisses an, die es zunächst zu analysieren gilt, bevor überhaupt – und schon gar nicht pauschal – über eine Mithaftungsquote gesprochen werden kann.
Hinweis
Die Beweislast auch für die Mitursächlichkeit des Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes trägt grundsätzlich gem. ...