Rz. 79
Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein weiteres Schmerzensgeld später einmal nur für solche Spätfolgen verlangt werden, die auch ein solcher Sachkundiger nicht ernstlich vorhersehen konnte (BGH NJW 1980, 2754; BGH zfs 2006, 381 ff.; OLG Oldenburg zfs 1985, 72; Müller, VersR 1993, 909 ff.).
Denn ist eine später eintretende Verletzungsfolge aus objektiver Sicht noch nicht so nahe liegend, dass sie bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte, steht ein vorausgegangenes Urteil der Zubilligung eines weiteren Schmerzensgeldes nicht entgegen (BGH zfs 1995, 172).
Rz. 80
Im Rahmen von Abfindungsvergleichen wird häufig die Bestimmung aufgenommen, dass die Geltendmachung bezifferbarer Spätschäden vorbehalten werde. Das hat lediglich zur Folge, dass ein Anerkenntnis vorliegt, das zum Wiederbeginn des Laufs der Verjährungsfrist führt (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Treten die Spätfolgen erst mehr als drei Jahre nach dieser Vereinbarung ein, ist Verjährung eingetreten.
Rz. 81
Davor schützt auch ein Feststellungstitel nicht unbedingt: Auch er betrifft nur unvorhersehbare Spätfolgen. Voraussetzung für einen Feststellungsanspruch ist außerdem, dass nach ärztlichen Bekundungen überhaupt mit unfallbedingten Spätfolgen zu rechnen ist, da ansonsten der Geschädigte kein Feststellungsinteresse hat.
Rz. 82
Da rechtskräftig festgestellte Ansprüche in dreißig Jahren verjähren (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), bietet sich die Feststellungsklage bei noch nicht abgeschlossener Schadensentwicklung zur Sicherung der Ansprüche auf Schmerzensgeld für künftige Ansprüche an. Da für die Spätschäden nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen muss (OLG Celle OLGR 2003, 264) und hierfür auf die Sicht des Geschädigten abgestellt wird BGH NJW 2001, 1431), dürfte im Regelfall die Feststellungsklage erfolgreich sein. Sie ist allerdings nicht erforderlich, wenn ein titelersetzendes Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers vorliegt.
Rz. 83
Bei einem Feststellungsantrag ist ein Feststellungsinteresse gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO aber bereits dann zu bejahen, wenn die Entstehung des Schadens jedenfalls auch nur entfernt möglich erscheint und der Schaden daher noch nicht abschließend beziffert werden kann (BGH NJW 1991, 2707). Es ist jedoch zu verneinen, wenn bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH DAR 2007, 390).
Rz. 84
Muss der Verletzte mit Spät- oder Dauerschäden rechnen, entfällt sein Feststellungsinteresse nicht schon dadurch, dass sich der gegnerische Haftpflichtversicherer zum Verzicht auf die Verjährungseinrede für einen bestimmten – eventuell auch längeren – Zeitraum bereit erklärt hat (OLG Hamm SP 2000, 304). Der Geschädigte hat keine andere Möglichkeit zur Sicherung seiner Zukunftsschäden, als entweder den heute grundsätzlich zulässigen Verjährungsverzicht des Haftpflichtversicherers (§ 202 Abs. 2 BGB) einzuholen, ein titelersetzendes Anerkenntnis zu erlangen oder ein Feststellungsurteil zu erstreiten, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern (OLG Hamm r+s 1993, 456, 461).
Rz. 85
Tipp
Die Angst der Mandanten vor eventuellen Spätfolgen lässt sich oft nur durch Hinweis darauf nehmen, dass selbst im Falle eines Prozesses nur die aktuelle, von den Ärzten attestierte gegenwärtige Gesundheitssituation bewertet wird. Wenn diese keine negative Zukunftsprognose enthält, kann sie auch nicht berücksichtigt werden.
Rz. 86
Je mehr Zeit seit dem Unfall vergangen ist, umso mehr kann der Anspruch ohnehin an dem mangelnden Nachweis der Unfallkausalität scheitern. Deshalb sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht nur die Primärverletzung und die bekannten Dauerfolgen maßgeblich, sondern auch bereits vorhersehbare Spätfolgen, unabhängig davon, ob sie schon eingetreten sind. Verletzungsimmanente Spätfolgen, wie z.B. Arthrose bei Gelenksbeteiligungen, sind immer objektiv vorhersehbar und daher schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Deshalb sollten abschließende ärztliche Gutachten immer auch die Frage nach vorhersehbaren Spätschäden behandeln.