Rz. 239
Beispiel
Die Erbengemeinschaft besteht aus dem minderjährigen Erben, der zu ⅛ am Nachlass beteiligt ist, sowie aus drei anderen Miterben, die zu ⅜, 2/8 und 2/8 Miterben sind. Gegen die Stimme des Minderjährigen, vertreten durch seine Eltern, wird beschlossen, einen Kredit aufzunehmen, um den anstehenden kostspieligen Neuanstrich des Hauses zu bewältigen. Ferner soll ein Grundstück, und nicht ein Gemälde, aus dem Nachlass verkauft werden, um mit dem Erlös dringende (hochprozentige) Schulden zu begleichen.
"Eltern", "Vormund", "Pfleger" bedürfen der gerichtlichen Genehmigung, so der Gesetzeswortlaut (siehe Rdn 241). Die "Erbenmehrheit" wird im (strikten) Wortlaut des BGB nicht als eine Person genannt, die einer Genehmigung bedarf. Es heißt auch in den genannten Vorschriften ersichtlich nicht allgemein "gesetzlicher Vertreter". Da es sich um Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung handelt, vertritt bei den schuldrechtlichen Rechtsgeschäften die Erbenmehrheit die Erbenminderheit.
Rz. 240
Die handelnde Erbenmehrheit, die auch für den minderjährigen Miterben handelt, bedarf nach dem genauen Wortlaut des Gesetzes keiner familienrechtliche Genehmigung (siehe Rdn 237). Die im Beispiel nach §§ 1643, 1822 Nr. 8 BGB und § 1821 Abs. 1 Nr. 4 BGB vorgesehene familienrechtliche Genehmigung ist also, wie Löhnig zutreffend meint, nicht erforderlich.
Dass man der wohl noch h.M., eine familienrechtliche Genehmigung sei erforderlich, nicht folgen sollte, zeigen auch die Konsequenzen des folgenden Beispiels:
Beispiel
Es beschließt die Miterbengemeinschaft, der ein Minderjähriger angehört, mehrheitlich eine längerdauernde Verpachtung eines Nachlassgrundstücks. Der Minderjährige, vertreten durch seine Eltern, ist gegen die Verpachtung, wird aber überstimmt.
Die h.M. sieht den Minderjährigen als durch die Erbenmehrheit vertreten an, verlangt also nicht dessen Mitwirkung nach außen hin, weil es sich bei der Verpachtung um ein Verpflichtungsgeschäft und nicht um ein Verfügungsgeschäft handelt. Die h.M. verlangt – entgegen Löhnig – aber die familiengerichtliche Genehmigung, weil es sich um ein genehmigungsbedürftiges Geschäft nach §§ 1643, 1915, 1822 Nr. 5 BGB handelt. Die vielfach praktizierte Ansicht, der Minderjährige, vertreten durch seinen gesetzlichen Vertreter, müsse den Antrag auf Genehmigung stellen, gibt diesem – wenn man der h.M. folgt – die Möglichkeit, das Rechtsgeschäft scheitern zu lassen. Es mag schon schwierig sein, den gesetzlichen Vertreter dazu zu bewegen, gegen seinen eigentlichen Willen den Antrag auf familiengerichtliche Genehmigung zu stellen. Aber es erscheint schon zweifelhaft, ob das Gericht gegen die sachlichen Gründe, die aus der Sicht des Minderjährigen gegen eine Verpachtung sprechen, die Genehmigung erteilt. Der gesetzliche Vertreter muss aber – unstreitig – von der erteilen Genehmigung (§ 1829 BGB) keinen Gebrauch machen. Er wird sie dem Geschäftsgegner einfach nicht mitteilen und damit die Verpachtung scheitern lassen. Er läuft auch weder für sich noch für den Vertretenen Gefahr, Schadenersatz leisten zu müssen.
Was wäre im Übrigen, wenn das Familiengericht, z.B. weil der gesetzliche Vertreter sich in der Erbengemeinschaft gegen das Rechtsgeschäft ausgesprochen hatte, die Genehmigung versagen würde? Dann bliebe wohl nur der Umweg einer Klage der Erbenmehrheit gegen den Minderjährigen, weil dieser sich weigert, den Beschluss der Erbengemeinschaft umzusetzen; die Klage bedarf keiner familiengerichtlichen Zustimmung.
Rz. 241
Auch bei Verfügungsgeschäften im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung vertritt die Erbenmehrheit die Erbenminderheit.
Beispiel
Die Erbenmehrheit entschließt sich, um einen drängenden Gläubiger aus einem Kauf des Erblassers zu befriedigen, von den zahlreichen Grundstücken des Nachlasses ein entbehrliches kleineres Grundstück zu verkaufen und aufzulassen, weil der Nachlass ohne hinreichende flüssige Mittel ist.
Der hier bevorzugten Meinung folgend, ist nicht nur bei Verpflichtungsgeschäften, hier dem Kaufvertrag, sondern auch bei Verfügungsgeschäften – im Beispiel: Die Auflassung des Grundstücks – eine familienrechtliche Genehmigung nicht erforderlich. Begründen lässt sich dies ebenso anhand des Wortlauts der Vorschriften §§ 1629, 1643 BGB: Diese sprechen von "Eltern" – nicht pauschal vom "gesetzlichen Vertreter". Die §§ 1795, 1821, 1822 BGB sprechen vom "Vormund", nicht vom "gesetzlichen Vertreter". § 1915 spricht von der "Pflegschaft", § 1908i BGB von "Betreuung" – ebenso nicht von "gesetzlicher Vertretung" oder von der "Erbenmehrheit als Vertreter". Die Rechtsprechung zu §§ 1821, 1822 BGB verlangt die wörtliche Auslegung dieser Vorschriften. Die – zugegeben: sehr wörtliche – Schlussfolgerung ist dann, dass diese Vorschriften auf andere gesetzliche Vertretungen – hier die der Erbenmehrheit für die Erbenminderheit – nicht anwendbar sind. Hinter der sehr wörtlichen Anwendung der Genehmigungsvorschriften steht aber eine weitergehende sachliche Gesetzesanwe...