Rz. 39
Bei der Aussperrung handelt es sich um das Arbeitskampfmittel der Arbeitgeber. Es kann als Angriffsmittel eingesetzt werden, um die Gewerkschaften durch Druck zum Abschluss veränderter Tarifbedingungen zu veranlassen. Häufiger aber wird die Aussperrung als Reaktion auf einen Streik eingesetzt. Beide Formen haben – ebenso wie der rechtmäßige Streik – suspendierende Wirkung, wenn sie rechtmäßig durchgeführt werden.
1. Suspendierende Aussperrung als Angriffsmittel (Angriffsaussperrung)
Rz. 40
Mit der suspendierenden Angriffsaussperrung ergreifen die Arbeitgeber bzw. deren Verbände die Initiative, um Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen zu verändern. Nach der Rechtsprechung folgt diese Arbeitskampfmaßnahme grundsätzlich denselben Voraussetzungen wie ein Streik:
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Zunächst muss es sich um eine von einem Arbeitgeberverband veranlasste Arbeitskampfmaßnahme handeln. Nur in Ausnahmefällen sind nicht organisierte Arbeitgeber berechtigt, ihre Arbeitnehmer auszusperren. |
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Die Aussperrung darf weder gegen eine tarifvertragsimmanente relative Friedenspflicht noch eine ausdrücklich vereinbarte absolute Friedenspflicht verstoßen. |
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Die aussperrenden Arbeitgeber müssen mit ihrer Maßnahme tariflich regelbare Ziele verfolgen. |
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Letztlich muss die Maßnahme verhältnismäßig sein. Dies schließt es nicht aus, dass sonderkündigungsgeschützte Arbeitnehmer (bspw. Arbeitnehmerinnen in Mutterschutz oder schwerbehinderte Menschen) von der Arbeitskampfmaßnahme betroffen werden. |
2. Aussperrung als Reaktion auf einen Streik (Abwehraussperrung)
Rz. 41
Der Arbeitgeber kann mit der Abwehraussperrung auf Streikmaßnahmen reagieren, um selbst mit einer suspendierten Vergütungspflicht Druck auf die Arbeitnehmer auszuüben. Da ihm dies aber nur mittelbar gelingen kann, indem er seine Maßnahme gegen Arbeitnehmer richtet, die nicht streiken (die Gehaltsansprüche der Streikteilnehmer sind ohnehin suspendiert), muss er nach der Rspr. besondere Voraussetzungen einhalten:
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Die Abwehraussperrung muss – weil es sich um eine Arbeitskampfmaßnahme im engeren Sinne handelt – von einem Arbeitgeberverband organisiert oder geleitet sein. Nicht verbandsangehörige Arbeitgeber können nur in Ausnahmefällen aussperren. |
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Die Abwehraussperrung muss als Reaktion auf einen (rechtmäßigen oder rechtswidrigen) Streik initiiert worden sein. Der Arbeitgeber muss dazu ausdrücklich oder konkludent gegenüber den Gewerkschaften bzw. betroffenen Arbeitnehmern erklären, dass er sich dem Streik beugt. Es genügt deshalb nicht, dass er die Mitarbeiter "nach Hause schickt", ohne ihnen den Streik als Anlass hierfür zu nennen. |
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Auf Grund des Verhältnismäßigkeitsprinzips darf die Aussperrung den Arbeitskampfrahmen weder in räumlicher noch in sachlicher Hinsicht ausweiten. In engen Grenzen ist es jedoch zulässig, dass nicht streikende Arbeitnehmer von der Abwehraussperrung betroffen werden: Sind weniger als 25 % der Arbeitnehmer im Tarifgebiet zum Streik aufgerufen, darf der Arbeitgeberverband den Kampfrahmen auf bis zu 25 % der Arbeitnehmer erweitern; hat die Gewerkschaft mehr als 25 %, aber weniger als 50 % der Arbeitnehmer zur Arbeitsniederlegung bewogen, ist der Arbeitgeber berechtigt, bis zu 50 % der betroffenen Arbeitnehmer auszusperren; richtet sich der Streikaufruf an 50 % oder mehr Prozent der Arbeitnehmer, ist der Arbeitgeber im Umfang der Aussperrung frei. Er ist berechtigt, die Aussperrung auch gegen nicht gewerkschaftsangehörige oder sonderkündigungsgeschützte Arbeitnehmer zu richten. |
3. Folgen rechtmäßiger Aussperrungen
Rz. 42
Die rechtmäßige Aussperrung führt – mit Ausnahme der lösenden Aussperrung – zur Suspendierung der wechselseitigen Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis mit den betroffenen Arbeitnehmern. Die ausgesperrten Arbeitnehmer sind deshalb nicht berechtigt, ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der unterlassenen Vergütungszahlung außerordentlich zu kündigen. Ihnen bleibt die ordentliche Kündigung.
4. Folgen rechtswidriger Aussperrungen
Rz. 43
Da die rechtswidrige Aussperrung nicht dazu führt, dass die Vergütungspflicht entfällt, hat der Arbeitgeber nach § 615 BGB weiterhin das Gehalt zu zahlen. Die hiervon betroffenen Arbeitnehmer haben zudem das Recht – nach Abmahnung –, ihr Arbeitsverhältnis außerordentlich zu kündigen und können ggf. Schadensersatzansprüche nach § 628 Abs. 2 BGB geltend machen.
5. Sonderfall: Lösende Aussperrung
Rz. 44
Die lösende Aussperrung ist heute nahezu bedeutungslos und dadurch ein überwiegend theoretisches Problem: Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seiner Entscheidung vom 21.4.1...