Hilmar Stobbe, Dr. Jens Tietgens
Rz. 73
Erleidet ein Geschädigter einen schweren Personenschaden, ist bei der Prozessführung zu beachten, dass neben dem Antrag auf Zahlung eines der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes auch ein Feststellungsantrag des Inhalts gestellt wird, dass der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer dazu verpflichtet sind, dem Geschädigten alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, sofern sie Folge des streitgegenständlichen Schadensfalls sind. Entspricht das erkennende Gericht diesen Klageanträgen, werden dem Geschädigten also ein Schmerzensgeldkapital und der Feststellungsanspruch für zukünftige immaterielle Schäden zugesprochen, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Geschädigte ein weiteres Schmerzensgeld einfordern kann. Mit dem dem Geschädigten zuerkannten Betrag werden alle Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte. Nur solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein. Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht des Geschädigten, des Schädigers oder des erkennenden Gerichts, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen, also eines medizinischen Sachverständigen. Maßgebend ist, ob sich im ursprünglichen Klageverfahren eine Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte. Ist dies der Fall, scheidet die Zubilligung eines weiteren Schmerzensgeldes selbst dann aus, wenn es nach der Rechtskraft der Schmerzensgeldentscheidung zu einer unfallbedingten Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Geschädigten kommt.
Praxistipp:
Kommt es nach einer rechtskräftigen Schmerzensgeldentscheidung zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, empfiehlt es sich, einen Arzt des Vertrauens oder einen medizinischen Sachverständigen mit der Prüfung der Frage zu beauftragen, ob die nun eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im Schmerzensgeldprozess für einen medizinischen Fachmann bereits absehbar war oder nicht. War dies nicht der Fall, sollte auf der Grundlage dieser medizinischen Feststellung gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer ein weiteres Schmerzensgeld gefordert werden.