Dr. Peter Stelmaszczyk, Stefan Wegerhoff
aa) Regelmäßige Unbeschränktheit
Rz. 534
§ 124 Abs. 4 HGB umschreibt handelsrechtlich die Unbeschränktheit der Vertretungsmacht. Im Gegensatz zur Geschäftsführungsbefugnis, die bereits gesetzlich beschränkt ist, kann sie nicht durch Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag limitiert werden. Sie umfasst alle gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen und reicht damit weiter als die Vertretungsmacht des Prokuristen gem. § 50 HGB. Auch wenn im Innenverhältnis nicht die nötige Kompetenz besteht, erstreckt sie sich immer auf Geschäfte, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehen, und das Weisungsrecht ggü. Angestellten der OHG.
Rz. 535
Änderungen des Grundverhältnisses umfasst die Vertretungsmacht jedoch nicht. Daher kann ein vertretungsberechtigter Gesellschafter kraft seiner Vertretungsmacht bspw. nicht:
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den Gesellschaftsvertrag ändern, |
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einen neuen Gesellschafter in die OHG aufnehmen, |
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die Kündigung eines Gesellschafters für die anderen entgegennehmen und |
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das Unternehmen der Gesellschaft einschließlich der Firma veräußern. |
bb) Ausnahmen
Rz. 536
Betreibt eine OHG ein Unternehmen mit mehreren Niederlassungen, die unterschiedliche Firmen führen, kann gem. § 124 Abs. 4 Satz 4 HGB i.V.m. § 50 Abs. 3 HGB die Vertretungsmacht auf nur eine dieser Niederlassungen beschränkt werden.
Ebenso kann der Gesellschaftsvertrag vom Verbot des Selbstkontrahierens gem. § 181 BGB befreien, was zumindest dann sinnvoll erscheint, wenn die Gesellschafter in mehrfacher Funktion tätig sind, bspw. als Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH oder in einem verbundenen Unternehmen. Die Befreiung ist in das Handelsregister einzutragen.
Rz. 537
Schließlich ergeben sich Ausnahmen aus dem Zweck der unbeschränkbaren Vertretungsmacht. Sie soll den Rechtsverkehr mit der OHG schützen und ihre Geschäftspartner davon befreien, Erkundigungen über die Ausgestaltung der Vertretungsregeln einholen zu müssen. Daraus folgt, dass Dritte, die kollusiv mit einem vertretungsberechtigten Gesellschafter zum Schaden der OHG zusammenwirken, sich nicht auf die unbeschränkte Vertretungsmacht berufen können. Das gilt auch, wenn der Dritte positiv weiß oder grob fahrlässig verkannt hat, dass der Gesellschafter seine Vertretungsmacht bewusst zum Schaden der OHG missbraucht. Aus demselben Grund kann sich ein Gesellschafter, welcher der OHG in einem Drittgeschäft als Vertragspartner gegenübersteht, nicht auf die Unkenntnis der internen Beschränkungen der Vertretungsmacht berufen.