Leitsatz
Der Vorstand einer Aktiengesellschaft handelt jedenfalls im Regelfall rechtswidrig, wenn er an ein Aufsichtsratsmitglied eine Vergütung zahlt, obwohl der Aufsichtsrat dem zugrunde liegenden Beratungsvertrag noch nicht nach § 114 Abs. 1 AktG zugestimmt hat.
Sachverhalt
In dem Fall, der der Entscheidung zugrundelag, war die Klägerin Aktionärin der Fresenius SE, d.h. einer Aktiengesellschaft des Europäischen Rechts (sog. SE). Sie erhob Anfechtungsklage gegen Beschlüsse, die in der Hauptversammlung im Jahr 2009 über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008 gefasst worden waren. Nach Ansicht der Klägerin hatte der Vorstand gegen § 114 Aktiengesetz (AktG) verstoßen. Die Beklagte SE und ihre Tochtergesellschaft hatten Beratungsverträge mit einer Anwaltssozietät geschlossen, deren Partner der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten war. Die im Jahr 2008 geschlossenen Beratungsverträge, auf die bereits Honorare in Höhe von 1 Mio. EUR an die Sozietät gezahlt worden waren, wurden erst in einer späteren Aufsichtsratssitzung Ende 2008 genehmigt.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Urteilsbegründung zunächst ausgeführt, dass die Entscheidung der Berufungsinstanz (OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 15.2.2011, 5 U 30/10) insofern fehlerhaft war, als die Entlastungsbeschlüsse nach dessen bisherigen Feststellungen nicht angefochten werden konnten.
Nach der Rechtsprechung des BGH verstößt ein Beschluss der Hauptversammlung über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats gegen § 120 Abs. 2 Satz 1 AktG und ist deshalb anfechtbar (§§ 243 Abs. 1 AktG), wenn damit ein Verhalten gebilligt wird, das einen schwerwiegenden und eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellt. Zwar lag im vorliegenden Fall durch die Zahlung der Beratungshonorare an die Anwaltssozietät, obwohl der Aufsichtsrat den zugrunde liegenden Verträgen nicht zugestimmt hatte, ein Gesetzesverstoß (§ 114 AktG) vor. Da der Aufsichtsrat diese Praxis nicht beanstandet hatte verhielt er sich nach Ansicht des Gerichts ebenfalls rechtswidrig. Der BGH hat in dem Verhalten aber keinen schweren und eindeutigen Verstoß gesehen, sodass die Entlastungsbeschlüsse nicht angefochten werden konnten.
In seiner Urteilsbegründung hat das Gericht zunächst weiter darauf hingewiesen, dass ein Vorstand wegen der Vorschrift des § 114 AktG grundsätzlich keine Honorare an ein Aufsichtsratsmitglied oder seine Sozietät auszahlen darf, bevor nicht die zugrunde liegenden Beratungsverträge vom Aufsichtsrat genehmigt worden sind. Der Zweck der Regelung des § 114 AktG ist nach der Rechtsprechung des BGH im Zusammenhang mit demjenigen des § 113 AktG zu sehen. Danach entscheidet – sofern die Satzung dies nicht bereits vorsieht – die Hauptversammlung über die Höhe der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder. § 114 AktG solle dem Aufsichtsrat durch präventive Prüfung des Beratungsvertrags ermöglichen, eine Umgehung des § 113 AktG in der Form zu verhindern, dass er Gegenstände enthält, die zur Aufsichtsratstätigkeit gehören. Außerdem solle der Aufsichtsrat durch die Offenlegung des Beratungsvertrags die Möglichkeit erhalten, sachlich ungerechtfertigte Sonderleistungen der Gesellschaft – z.B. überhöhte Vergütungen – an einzelne Mitglieder des Kontrollorgans oder auch bei "nicht ganz geringfügigen Leistungen" an eine Gesellschaft, an der ein Aufsichtsratsmitglied beteiligt ist, und damit eine Beeinflussung des Aufsichtsratsmitglieds durch den Vorstand zu verhindern.
Der BGH hat aber – trotz des festgestellten Gesetzesverstoßes nach § 114 AktG durch den Vorstand – auch ausgeführt, dass diese Vorschrift nach Abs. 2 Satz 1 ermöglicht, dass der Aufsichtsrat auch (nachträglich) den Beratervertrag genehmigen kann, und zwar sogar noch nach der Zahlung der Vergütung. Die Möglichkeit der (nachträglichen) Genehmigung führt aber nach Meinung des Gerichts – entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht – nicht dazu, dass ein Vorstand pflichtgemäß handelt, wenn er Zahlungen wie im vorliegenden Fall bereits vor der Genehmigung durch das Gesamtgremium leistet, da der Vertrag bis dahin schwebend unwirksam ist. Die anschließende Genehmigung der bereits vorher erfolgten Zahlung führe zwar dazu, dass der Vertrag als von Anfang an wirksam gilt (§ 184 Abs. 1 BGB), ändere jedoch nichts an dem grundsätzlich regelwidrigen Verhalten des Vorstands.
Der BGH hat ergänzend darauf hingewiesen, dass es dem Vorstand unbenommen ist, einen Beratungsvertrag mit einem Aufsichtsrat zu schließen und von diesem (!) bereits einseitig erfüllen zu lassen. Allerdings sei die erst nach der Genehmigung durch das Kontrollorgan zulässige Zahlung der Vergütung der Preis, den das Aufsichtsratsmitglied als Auftragnehmer der Gesellschaft in solchen Fällen zu zahlen habe.
Zur Begründung, dass der Gesetzesverstoß nicht "eindeutig und schwerwiegend" ist, um ein Recht zur Anfechtung der Entlastungsbeschlüsse zu begründen, hat das Gericht ausgeführt, dass zum Zeitpunk...