Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenbeitragsforderungen nach §§ 91 SGB VIII (= Art 1 KJHG) als bevorrechtigte Unterhaltsansprüche im Sinne von § 850 d ZPO
Leitsatz (amtlich)
Kostenbeitragsforderungen nach §§ 91 SGB VIII (= Art 1 KJHG) sind keine bevorrechtigten Unterhaltsansprüche im Sinne von § 850 d ZPO.
Normenkette
ZPO § 850d; SGB VIII § 91 ff.; KJHG Art. 1; ZPO § 766 Abs. 1 S. 1
Tenor
1. Auf die Erinnerung des Schuldners vom 17.10.2011, eingegangen am 18.10.2011 gegen den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 14.07.2011 wird die Rechtspflegerin angewiesen, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss dahingehend abzuändern, dass sich die Pfändung rückwirkend nur nach § 850 c ZPO und nicht nach § 850 d ZPO richtet.
2. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Erinnerungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 13.07.2009 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 21.05.2010 wurde nach rechtskräftiger Ankündigung des Restschuldbefreiungsverfahrens das Insolvenzverfahren aufgehoben. Am 14.07.2011 erließ das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – Augsburg aufgrund eines Leistungsbescheides der Gläubigerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss nach Maßgabe des § 850 d ZPO.
Hiergegen hat der Schuldner mit Schreiben vom 17.10.2011 Erinnerung eingelegt, weil § 89 InsO entgegenstehe und der pfandfreie Betrag wegen seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner jetzigen Ehefrau höher anzusetzen sei. Die Gläubigerin ist angehört worden. Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 31.01.2012 der Erinnerung nicht abgeholfen.
Die zulässige Erinnerung nach § 766 Absatz 1 Satz 1 ZPO ist nur teilweise begründet.
Für den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses müssen die allgemeinen und besonderen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, was hier der Fall ist. Insbesondere ist ein Vollstreckungstitel, nämlich ein Leistungsbescheid der Gläubigerin vorhanden (§ 66 Absatz 3 SGB X, Art 26 Bay VwZVG).
§ 89 InsO steht wie die Rechtspflegerin zutreffend in ihrem Nichtabhilfebeschluss ausführt – der Zwangsvollstreckung nicht entgegen. So ist das Insolvenzverfahren (4 IK 731/09) bereits am 21.05.2010 aufgehoben worden, also § 89 InsO nicht maßgeblich, allenfalls wegen der mit Beschluss vom 21.05.2010 angeordneten Wohlverhaltensperiode § 294 Absatz 1 ZPO. Da die Gläubigerin keine Insolvenzgläubigerin ist, weil es sich um Ansprüche handelt, welche erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 13.07.2009 begründet wurden (§ 38 InsO), nämlich erst ab 01.01.2010, kommt auch § 294 Absatz 1 ZPO InsO nicht zur Anwendung. Insoweit ist die Erinnerung unbegründet.
Soweit die Gläubigerin eine bevorrechtigte Pfändung nach § 850 d ZPO beantragt hat, ist der Erinnerung stattzugeben, weil hier nicht wegen Unterhaltsansprüche vollstreckt wird, sondern wegen Kostenansprüche der Gläubigerin nach §§ 91 ff SGB VIII. Die Gläubigerin führt zwar in ihrem Schreiben vom 07.11.2011 aus, dass die Kostenbeitragsforderungen den Unterhaltsforderungen gleichgestellt sind, weil mangels Unterhaltsleistungen des Schuldners die Gläubigerin im Rahmen der Jugendhilfe für den kompletten Lebensunterhalt von drei minderjährigen Kindern des Schuldners aufgekommen ist. Jedoch ist diese Kostenbeitragsforderung kein Unterhaltsanspruch im Sinne von § 850 d ZPO. So fallen nach dem eindeutigen Wortlaut von § 850 d Absatz 1 Satz 1 ZPO unter bevorrechtigte Unterhaltsansprüche nur solche, die kraft Gesetzes einem Verwandten, dem Ehegatten, einem früheren Ehegatten, dem Lebenspartner, einem früheren Lebenspartner oder nach §§ 1615 l, 1615 n BGB einem Elternteil zustehen. Mit dieser Begründung hat der BGH in seiner Entscheidung vom 28.06.2006 (FamRZ 2006, 1373) den Anspruch aus § 844 Absatz 2 BGB nicht als Unterhaltsanspruch, sondern als Schadensersatzanspruch angesehen und die Anwendbarkeit von § 850 d ZPO verneint. Eine analoge Anwendung scheidet aus, weil überhaupt keine Regelungslücke erkennbar ist.
Soweit der Schuldner eine Erhöhung des pfandfreien Betrages von § 860 EUR beantragt, wird dem durch die Abänderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses entsprochen.
Die rückwirkende Abänderung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 14.07.2011 dahingehend, dass nicht § 850 d ZPO, sondern § 850 c ZPO maßgebend ist, wird auf die Rechtspflegerin gemäß § 572 Absatz 3 ZPO analog übertragen (Zöller 29.Auflage,§ 766 ZPO RdNr. 22).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO.
Eine Gegenstandswertfestsetzung erfolgt nicht, weil keine Gerichtsgebühren anfallen.
Fundstellen
Haufe-Index 3087355 |
NZI 2012, 8 |