Leitsatz (amtlich)
1. Nähert sich der Geschädigte in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Raum einem schlafenden oder dösenden Hund und hält er diesem die Hand zum "Beschnüffeln" hin, ist die Haftung des Tierhalters nicht ausgeschlossen, wenn der Hund dem Geschädigten hieraufhin in die Hand beißt, auch wenn der Geschädigte zuvor darauf hingewiesen worden ist, dass der Hund es nicht möge, angefasst zu werden.
2. Setzt sich der Geschädigte selbst der Gefahr aus, dass sich eine gewöhnliche Tiergefahr verwirklicht, ist der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Tieres und dem eingetreten Schaden infolge eines Hundebisses nicht ausgeschlossen, insbesondere gebietet weder der Schutzzweck der Norm einen Haftungsausschluss noch handelt der Geschädigte in einer solchen Situation "auf eigene Gefahr".
3. Der Geschädigte muss sich jedoch ein Mitverschulden entgegenhalten lassen, wenn er sich einem ihm unbekannten Tier unvorsichtig nähert (hier: 50 %).
4. Ein Tieraufseher handelt sorgfaltswidrig, wenn er in einem öffentlich zugänglichen räumlich eng begrenzten Raum (hier: ca. 6 m2 große Wechselstube einer Autowaschanlage) einen schlafenden oder dösenden Hund mitführt, ohne Maßnahmen zu ergreifen, die eine gewollte oder ungewollte Annäherungen an den Hund verhindern.
5. Ein ersatzfähiger Vermögensschaden wegen einer unfallbedingten Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit (sog. Haushaltsführungsschaden) entsteht nicht, wenn der Geschädigte verbleibende Kräfte einsetzen und seine Haushaltsführung umdisponieren kann.
6. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes kann die sog. Ausgleichsfunktion es rechtfertigen, aufgrund der eingetretenen erheblichen Verletzungen (hier: dauerhafte Bewegungseinschränkung der rechten Hand eines Rechtshänders) den Mitverschuldensanteil des Geschädigten anders zu gewichten als bezogen auf die materiellen Schäden (hier: 1/3 statt 1/2).
7. Der Wert eines unbezifferten Schmerzensgeldantrages erreicht - unabhängig davon, was das Gericht als angemessen erachtet und auf welchen Zeitpunkt für die Bestimmung der Angemessenheit abzustellen ist - jedenfalls die von dem Kläger angegebene Mindesthöhe (vgl. BGH, Urt. v. 30.04.1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341 = NJW 1996, 2425, [...] Rn. 38; OLG München, Beschl. v. 15.06.2007 - 1 W 1734/07, [...] Rn. 3; OLG München, Beschl. v. 08.01.2008 - 1 W 604/08, [...] Rn. 4; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 26.11.2009 - 4 W 343/09, [...] Rn. 10-15; KG, Beschl. v. 15.03.2010 - 12 W 9/10, NZV 2011, 88, [...] Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.07.2011 - 1 Ws 80/11, NStZ-RR 2011, 390, [...] Rn. 5; entgegen OLG Koblenz, Beschl. v. 20.01.2004 - 12 W 35/04, [...] Rn. 5).
Normenkette
BGB §§ 253, 254 Abs. 1, §§ 833-834, 840 Abs. 1, 3, § 843 Abs. 1; ZPO §§ 256-258, 287, 355 Abs. 1, § 398 Abs. 1; GefHG SH § 3 Abs. 2-3, § 10 Abs. 5 S. 1
Tenor
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.251,55 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf einen Betrag in Höhe von 1.192,05 € seit dem 26.02.2010 sowie auf einen weiteren Betrag in Höhe von 59,50 € seit dem 09.02.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 3/4 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/4 zu tragen. Hiervon ausgenommen sind die Kosten, die durch die Verweisung des Rechtsstreits entstanden sind, diese hat der Kläger alleine zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird bis zum 30.01.2011 auf 4.402,80 € und danach auf 4.521,80 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Ansprüche aufgrund eines Hundebisses geltend.
Am 19.10.2009 suchte der zu diesem Zeitpunkt 64-jährige Kläger gegen 12.30 Uhr die Waschanlage A... in der E... in B... auf. Nachdem er sein Fahrzeug in einer der Waschboxen abgestellt hatte, begab er sich in die Wechselstube der Waschanlage, um dort Geld zu wechseln. In der ca. 6 m2 großen Wechselstube befanden sich zu diesem Zeitpunkt neben dem Kläger ein Mitarbeiter der Waschanlage, der Zeuge ... S..., sowie der Beklagte zu 3), der auf einem links neben der Eingangstür befindlichen Schreibtisch saß. An der zur Eingangstür der Wechselstube gegenüberliegenden Wand lag der von den Beklagten zu 1) und 2) gehaltene Hund "P...", ein Cockerspaniel-Golden Retriever-Mischling, auf dem Boden. Der Beklagte zu 3) hatte die Betreuung des Hundes übernommen. Der Hund trug zu diesem Zeitpunkt weder einen Maulkorb noch eine Leine. Nachdem der Kläger an dem Schreibtisch Geld gewechselt hatte, ging er auf den Hund zu und hielt diesem seine flache rechte Hand hin, wobei zwischen den Parteien str...