Leitsatz (amtlich)
Bei der Beurteilung der Haftungsanteile bei Verkehrsunfällen zwischen Kindern als Fußgängern und Kraftfahrzeugen ist die gesetzgeberisch gewollte Privilegierung von jüngeren Kindern im Straßenverkehr zu beachten.
Die völlige Freistellung des Halters von der Gefährdungshaftung stellt einen Ausnahmefall dar, der nur anzunehmen ist, wenn das Verschulden auf Seiten des Kindes objektiv und subjektiv besonders vorwerfbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit es sich um altersgemäße Lern- und Eingewöhnungsprozesse in die Gefahren des Straßenverkehrs handelt.
Tenor
Die Beklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 625,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.02.10 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 25 % ihres materiellen und immateriellen Zukunftsschadens, der ihr noch aus dem Unfallereignis vom 04.10.09 entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht auf den Sozialversicherungs-träger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnern zu 63 % und der Klägerin zu 37 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom 04.01.2009 in Anspruch, der sich gegen 16:37 Uhr auf der S Straße, Höhe Haus-Nr. ## in Essen ereignete. Der Unfall ereignete sich, indem die zum Unfallzeitpunkt 10 Jahre alte Kläger als Fußgängerin auf die S Straße lief, die vom Beklagten zu 1. als Halter seines Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen E-####, welcher bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, befahren wurde.
Es handelte sich bei dem Unfalltag um einen verkaufsoffenen Sonntag, so dass auf der S Straße reger Betrieb herrschte und auch viele Fußgänger unterwegs waren. Der Vater der Klägerin hatte seinen Pkw in einer Parkbucht, aus Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs gesehen links, abgestellt. Von diesem Auto aus lief die Klägerin quer über die Straße, da sich ihr Vater auf der gegenüber liegenden Straßenseite aus Beklagtensicht rechts - befand. Der Beklagte zu 1. befuhr die S Straße mit seinem Pkw aus Fahrtrichtung S-St. kommenden Stadt Mitte. Die Klägerin prallte auf den linken vorderen Kotflügel des Beklagtenfahrzeugs, wobei sie sich eine Unterschenkelfraktur, eine Mittelfußfraktur, Quetschungen, Schürfungen und eine Schädelprellung zuzog. Sie befand sich auf Grund dessen vom 04. - 16.10.2009 in stationärer sowie vom 27.10. bis 02.11.2009 in ambulanter Behandlung.
Die Klägerin behauptet, sie habe das Beklagtenfahrzeug herannahen sehen, es sei nach ihrer Einschätzung jedoch so weit entfernt gewesen, dass sie gemeint habe, die Straße gefahrlos überqueren zu können. Sie habe die Annäherung des Beklagtenfahrzeugs und auch dessen Geschwindigkeit unterschätzt. Sie ist der Ansicht, da der Beklagte nicht nachweisen könne, dass der Unfall für ihn unabwendbar war und da die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs nicht vollständig zurücktrete, hafte er wenigstens zu 25 %. Bei einer 100 %-igen Haft des Beklagten hält sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 4000,00 Euro für angemessen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes angemessenes Schmerzensgeld sowie einen Betrag in Höhe von 6,25 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.20.2010.
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr 25 % ihres materiellen und immateriellen Zukunftsschadens, der ihr noch aus dem Unfallereignis vom 04.10.2009 entsteht, zu ersetzen, soweit dieser nicht auf den Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, der Unfall sei für den Beklagten zu 1. unabwendbar gewesen. Er habe sich vollumfänglich verkehrsgerecht verhalten. Auch unter dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung bestehe keine, eine Ersatzpflicht der Beklagten, da insoweit die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1. hinter das überwiegende Mitverschulden der Klägerin zurücktrete.
Das Gericht hat Beweis erhoben, durch uneidliche Vernehmung der Zeugen Eheleute L und Eheleute T. Wegen des Ergebnisses, wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse bezüglich des Antrags zu 2 gemäß § 256 ZPO folgt daraus, dass nach dem gegenwärtigen Stand des Heilungsverlaufs noch nicht zuverlässig beurteilt werden kann, ob Dauerschäden vorliegen.
Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruc...