Entscheidungsstichwort (Thema)
Landfriedensbruch. Notwehrlage durch "Straßenblockade" der Gegendemonstranten. aktive Teilnahme durch Solidarisierung mit Gewalttätern
Leitsatz (amtlich)
Das aggressive gemeinsame Zurennen der "geschlossenen" Gruppe von Demonstranten auf die Gegendemonstranten während schon begonnener Gewalttätigkeiten stellt sich als psychische Unterstützungshandlung derjenigen Personen dar, die Gewalttätigkeiten begehen. Durch dieses von ihnen unterstützte gruppendynamische Verhalten haben sie die weitere Eskalation der Situation, in deren Folge es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam und worin sich letztlich die durch den Angriff manifestierte Gewaltbereitschaft ihrer gesamten Gruppe zeigte, aktiv gefördert.
Keine Notwehrlage durch "Straßenblockade" der Gegendemonstranten, die es rechtfertigen würde, diese zur Wahrnehmung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Demonstrationsrechte gewaltsam zu durchbrechen, um zu dem Versammlungsort zu gelangen.
Normenkette
StGB § 125 Abs. 1 Nr. 1, § 32
Tenor
Die Angeklagten sind des Landfriedensbruchs schuldig.
Der Angeklagte S wird zu einer
Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 20,- Euro
verurteilt.
Der Angeklagte I wird zu einer
Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,- Euro
verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Angeklagten.
Gründe
(hinsichtlich des Angeklagten I abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)
I.
Der am 13.06.1968 in A geborene Angeklagte S ist deutscher Staatsangehöriger und verheiratet. Gemeinsam mit seiner Ehefrau, den gemeinsamen Kindern im Alter von zwei, drei und fünf Jahren sowie seiner zehnjährigen Stieftochter wohnt er unter der oben genannten Anschrift in C. Darüber hinaus ist er Vater eines elfjährigen Sohnes, der bei der Kindesmutter lebt und für den er ab November 2011 einen Betrag in Höhe von 260,00 Euro als Unterhalt zahlt. Als angestellter Bäcker verdient er monatlich rund 1.900,00 Euro netto. Seine Ehefrau geht keiner Erwerbstätigkeit nach.
In der Vergangenheit ist der Angeklagte S mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Unter anderem verurteilte ihn das Amtsgericht Recklinghausen am 08.05.1990, Az. 26 Ls 33 Js 363/89 - 156/90, wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungs-widriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 DM. Unter Einbeziehung dieser Entscheidung wurde er am 25.10.1990 vom Amtsgericht Recklinghausen, Az. 26 Ls 33 Js 172/90 - 303/90, ebenfalls wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt.
Das Landgericht Dortmund verurteilte ihn am 06.04.1993, Az. KLs 31 Js 79/92, wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, wobei die zunächst gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zwischenzeitlich widerrufen und der später zur Bewährung ausgesetzte Strafrest mit Wirkung vom 19.10.2000 erlassen wurde.
Das Amtsgericht Kaufbeuren verurteilte den Angeklagten S am 19.07.1995, Az. 13 Js 13101/93, wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in zwei Fällen, Volksverhetzung in Tateinheit mit Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, wobei der zur Bewährung ausgesetzte Strafrest ebenfalls mit Wirkung vom 19.10.2000 erlassen wurde.
Am 30.09.1999 verurteilte ihn das Landgericht Dortmund, Az. KLs 71 Js 27/99, wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot in Tateinheit mit Volksverhetzung, Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Einbeziehung einer weiteren zwischenzeitlichen Verurteilung durch das Amtsgericht Recklinghausen vom 04.06.1998, Az. 37 Ds 8 Js 716/97 - 19/98, die wegen ge-fährlicher Körperverletzung erfolgt ist, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und die mit Wirkung vom 30.11.2004 erlassen wurde.
Zuletzt wurde der Angeklagte S vom Amtsgericht Alfeld (Leine) am 25.06.2009, Az. 9 Cs 21 Js 10089/09, wegen Vortäuschen einer Straftat zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 25,00 Euro verurteilt.
II.
Am 29.01.2011 fand im Stadtgebiet W eine angemeldete Demonstration des Rechtsextremisten S2 statt. Zu einer Gegenveranstaltung hatten verschiedene Gruppierungen aus dem "bürgerlichen Lager" und dem linksextremistischen Spektrum aufgerufen. Zu der Veranstaltung des Rechtsextremisten S2 reiste eine Reihe von Personen mit dem Zug nach W an, zu denen auch die beiden Angeklagten gehörten. Entgegen der ursprünglichen Absicht, mit dem Zug bis zum Bahnhof W1 oder W2 zu fahren, wurde ihr Zug bereits am Bahnhof W3 aufgrund einer Gleisblockade der Gegendemonstranten angehalten. Deshalb musste die Gruppe der Demonstranten mit den beiden Angeklagten den Zug am Bahnhof in W3 verlassen, um von dort aus den Fußweg zum Versammlungsplatz anzutreten.
In einer Gruppe von rund 70 Personen machten s...