Im gerichtlichen Verfahren kommt es häufig vor, dass die Verfahrensgebühr zu unterschiedlichen Sätzen anfällt, nämlich aus einem Teil des Streitgegenstands in voller Höhe und aus einem anderen Teil des Streitgegenstands lediglich in ermäßigter Höhe. In diesem Fall ist die Verfahrensgebühr aus den unterschiedlichen Teilwerten zu den unterschiedlichen Gebührensätzen zu berechnen. Insgesamt dürfen die beiden Teilgebühren jedoch nicht höher liegen als eine Gebühr nach dem höchsten Gebührensatz aus dem Gesamtwert (§ 15 Abs. 3 RVG).
Problematisch wird die Berechnung, wenn neben der Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG auch noch eine Gebührenanrechnung vorzunehmen ist. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob zuerst nach § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen und hiernach anzurechnen ist oder ob erst angerechnet und dann nach § 15 Abs. 3 RVG gekürzt wird.
Der Anwalt wird außergerichtlich wegen einer Forderung in Höhe von 10.000,00 EUR tätig. Es kommt anschließend zum Rechtsstreit über diese 10.000,00 EUR. Darauf schließen die Parteien im Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleich, mit dem auch weitergehende nicht anhängige Gegenstände in Höhe von 5.000,00 EUR geregelt werden.
Für die außergerichtliche Tätigkeit erhält der Anwalt eine Geschäftsgebühr, wobei hier von der Mittelgebühr ausgegangen werden soll. Danach ergibt sich folgende Berechnung:
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 10.000,00 EUR) |
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729,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
749,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer |
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142,31 EUR |
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Gesamt |
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962,71 EUR |
Im gerichtlichen Verfahren entsteht nunmehr aus dem Wert von 10.000,00 EUR eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV. Aus dem Mehrwert der mitverglichenen weiteren Gegenstände in Höhe von 5.000,00 EUR entsteht dagegen die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV lediglich in Höhe von 0,8 (Nr. 3101 Nr. 1 VV).
Einerseits ist jetzt zu berücksichtigen, dass der Anwalt insgesamt nicht mehr verlangen darf als eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Gesamtwert von 15.000,00 EUR (§ 15 Abs. 3 RVG). Andererseits ist aber auch zu berücksichtigen, dass die vorangegangene Geschäftsgebühr aus dem Teilwert von 10.000,00 EUR hälftig, höchstens zu 0,75, anzurechnen ist (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).
Herkömmlicherweise wird zunächst nach § 15 Abs. 3 RVG gekürzt und dann angerechnet. Dies ergibt folgende Abrechnung:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV |
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(Wert 10.000,00 EUR) |
683,80 EUR |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr Nr. 3100, 3101 Nr. 1 VV |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
240,80 EUR |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 15.000,00 EUR |
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735,80 EUR |
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gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 10.000,00 EUR |
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-364,50 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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697,20 EUR |
4. |
1,0-Einigungsgebühr Nrn. 1000, 1003 VV |
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(Wert 10.000,00 EUR) |
486,00 EUR |
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5. |
1,5-Einigungsgebühr Nr. 1000 VV |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
451,50 EUR |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 15.000,00 EUR |
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849,80 EUR |
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Zwischensumme |
1.917,50 EUR |
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6. |
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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364,32 EUR |
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Gesamt |
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2.281,82 EUR |
Geht man dagegen umgekehrt vor, rechnet man zunächst an und prüft dann erst nach § 15 Abs. 3 RVG ob das Gesamtaufkommen nach § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen ist, wird es – wie hier – häufig erst gar nicht mehr zu einer Kürzung kommen. Abzurechnen ist dann nämlich wie folgt:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV |
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(Wert 10.000,00 EUR) |
683,80 EUR |
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2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
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0,75 aus 10.000,00 EUR |
-364,50 EUR |
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319,30 EUR |
3. |
0,8-Verfahrensgebühr Nr. 3100, 3101 Nr. 1 VV |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
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240,80 EUR |
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(Die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, 1,3 aus 15.000,00 EUR = 735,80 EUR wird jetzt nicht erreicht) |
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4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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697,20 |
5. |
1,0-Einigungsgebühr Nrn. 1000, 1003 VV |
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(Wert 10.000,00 EUR) |
486,00 EUR |
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6. |
1,5-Einigungsgebühr Nr. 1000 VV |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
451,50 EUR |
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,5 aus 15.000,00 EUR |
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849,80 EUR |
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Zwischensumme |
2.107,10 EUR |
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7. |
19% Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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400,34 EUR |
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Gesamt |
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2.507,44 EUR |
Die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, 1,3 aus 15.000,00 EUR = 735,80 EUR, wird jetzt nicht erreicht.
In der Kommentarliteratur wird dieses Problem völlig vernachlässigt. Als einziges Gericht hat bislang das OLG Stuttgart (AGS 2009, 56 = OLGR 2009, 224 = JurBüro 2009, 246 = Justiz 2009, 195 = NJW-Spezial 2009, 124 = RVGreport 2009, 103) einen solchen Fall zu entscheiden gehabt und sich für die zweite Abrechnungsmethode entschieden. Diese Entscheidung basiert allerdings auf der unzutreffenden „Anrechnungsrechtsprechung“ des VIII. Zivilsenats des BGH, die spätestens seit Inkrafttreten des § 15a RVG nicht mehr vertretbar ist. Ob sich ungeachtet dessen die Rspr. des OLG Stuttgart weiterhin aufrechterhalten lässt, muss abgewartet werden.